Wer hat Angst vor Jasper Jones?
mir so leid. Es ist einfach so. Ich fühle mich schrecklich, und sie fehlt mir, ich will mit ihr reden, und ich bin so unglücklich. Ich fühle mich furchtbar mies und verdorben. Ich kriege kaum noch Luft. Es tut mir so …
leid
.» Die Hand an die Brust gedrückt, schüttelt Eliza den Kopf.
«Mir tut es auch leid», sage ich. «Was wir getan haben und einfach alles. Ich weiß, dass es nicht richtig war, aber Jasper hat so eine Art, einen zu überzeugen. Ich wollte nicht, dass er auch noch in Schwierigkeiten gerät. Und das wäre passiert. Mit Sicherheit.»
«Ist schon gut, Charlie. Ich glaube, ich verstehe das. Es spielt sowieso keine Rolle. Laura ist tot. Sie ist gestorben. Und ich hasse dich nicht. Ich bin traurig, dass du nichts gesagt hast, aber ich hasse dich nicht. Es ist komisch, aber irgendwie tut es mir sogar gut zu wissen, dass du sie gesehen hast. Dass du vielleicht besser weißt als alle anderen, wie es mir geht.»
«Das kann schon sein», sage ich.
«Magst du mich, Charlie?»
«Ja», beeile ich mich zu sagen. «Sehr sogar.»
Sie lächelt matt, und für einen Moment kommen ihre Grübchen zum Vorschein. Ich werde ein bisschen rot. Sie klopft neben sich ins Gras; eine Einladung, näher heranzurutschen. Was ich tue. Unsere Beine berühren sich. Sie beugt sich vor. Ich lehne mich zurück und schaue nach oben.
«Warum hast
du
nichts gesagt?», platze ich plötzlich heraus. «Warum bist du nicht mit der Wahrheit herausgerückt? Bei all den Suchaktionen, Ausgehsperren und Zeitungsberichten und so. Du hattest doch den Brief. Du wusstest, wo sie ist und was passiert war. Du hättest alles aufhalten, die Sache an einem Tag beenden können.»
«Ich hatte Angst», sagte sie leise.
«Wovor?», frage ich.
Achselzuckend beugt Eliza sich abermals vor und fährt mit den Handflächen über ihre Schienbeine.
«Vor deinem Dad?», frage ich.
Sie schweigt. Was mich zu bestätigen scheint.
Ich ringe mit der nächsten Frage und zupfe mir mit einem verlegenen Seufzen am Ohr.
«Hat er? Ich meine, hat er jemals …?»
«Nein. Nein, hat er nicht», unterbricht sie mich mit Nachdruck. «Und das wird er auch nicht. Niemals. Dieser verdammte
Widerling
. Dieser …»
Sie schaudert plötzlich und schüttelt so heftig den Kopf, als wolle sie ihre Gedanken in lauter kleine Stücke zerbrechen.
Eliza steht auf und schüttelt sich das Gras vom Kleid. Dann dreht sie sich um und hält mir die Hand hin. Ich ergreife sie, und sie zieht mich hoch. Wir stehen dicht voreinander. Etwas legt sich über ihr Gesicht, so, als habe sie sich in jemand anderen verwandelt.
«Kannst du Walzer tanzen, Charlie?»
Der merkwürdige Akzent ist wieder da. Sie fasst mich an der Schulter, nimmt meine Hand und legt sie sich auf die Hüfte.
«Nein», sage ich und schaue zu Boden. «Damit kenne ich mich nicht aus. Ich tanze wie ein Pinguin. Schaukle einfach hin und her.»
Zu meiner Überraschung wirft sie den Kopf in den Nacken und lacht theatralisch. Ich muss sie festhalten, aus Angst, sie könnte umfallen. Sie lächelt weiter, und für einen Moment vergesse ich alles. Eliza nimmt die Hand von meiner Schulter und kneift mir verspielt in die Nase.
«Weißt du, was jetzt mit dir passiert? Ich schleife dich rüber in den Zoo und verfüttere dich an die Yaks!»
«An die Yaks?»
«An die Yaks.»
«Ich hätte nicht gedacht, dass Yaks so böse sind», sage ich, während wir hin und her schaukeln.
«Oh, da irrst du dich.»
Ich grinse vor mich hin und lege das Kinn auf ihren Kopf. Ich bin froh, dass wir tanzen, so merkwürdig die Umstände auch sein mögen, die dazu geführt haben. Es ist schön, sie festzuhalten und ihren Geruch einzuatmen. Sich zu einem nicht vorhandenen Rhythmus zu bewegen.
Es fühlt sich an, als wäre ein warmes Scheinwerferlicht auf uns gerichtet und innerhalb dieses Lichtkreises könnte alles gut werden. Ich schließe die Augen, und das Scheinwerferlicht folgt mir, es fällt in meinen Ballsaal in Manhattan, richtet sich auf mich und bleibt bei mir. Die Präsentationen sind vorbei. Der Preis war für meinen Vater bestimmt. Das Lob galt niemals mir. Aber der springende Punkt ist, dass das
Mädchen
zu mir gehört. Sie gehört zu mir, so sicher wie eine Kugel in einer Rouletteschüssel die ihr bestimmte Zahl findet und ruhig dort liegen bleibt, während die Welt sich weiterdreht. Wir bewegen uns im leuchtenden Rund, als wären wir eins. Die Leute sind stehen geblieben und schauen uns zu. Sie bilden einen Kreis um uns, bewundern
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