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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Herrn direkt unter der Nase weggeschnappt. Er war komplett besoffen und hat eine leere Flasche umarmt, also hab ich mir die volle auf dem Tisch genommen. Aber du hast wahrscheinlich schon gehört, dass ich ein Dieb bin, stimmt’s? Ein Langfinger.»
    Ich zögere, versuche die richtigen Worte zu finden.
    «Ist schon gut, Charlie. Du kannst nichts ändern an dem, was die Leute reden. Aber gehört hast du’s, stimmt’s?»
    «Ja, kann schon sein.»
    «Aber was du nicht weißt, Charlie, was du nur von mir zu hören kriegst, ist, dass ich außer aus den Taschen von meinem alten Herrn noch nie was gestohlen hab, was ich nicht brauche. Glaubs mir. Ich meine so was wie Essen, Streichhölzer, ein paar Klamotten und so. Nichts Großes. Nichts, auf das die Leute nicht verzichten können. Und weißt du, genau die Leute, die jeden Tag drei Mahlzeiten auf dem Tisch haben wollen, die in gebügelten Klamotten rumlaufen, eine Frau, ein Auto und einen Job haben, die schauen auf mich herab, als ob ich der letzte Dreck wär. Als ob ich mir das ausgesucht hätte. Als ob ich irgendein kleiner Scheißer wär, der bloß in die Gänge kommen muss. Die erzählen ihren Kindern, dass ich ein Taugenichts bin. Dabei haben sie keine Ahnung von meinem Leben. Die fragen nicht nach einem Grund. Warum er wohl klaut. Die nehmen einfach an, dass es mir im Blut liegt. Dass ich nicht anders kann. Und willst du noch was wissen, Charlie? Ich bin noch nie erwischt worden. Nicht ein Mal. Sie verdächtigen mich bloß alle, sie
wollen
einfach, dass es so ist. Natürlich ist er der Dieb, sagen sie. Natürlich hat er die Post abgefackelt. Natürlich hat er das arme Mädchen aufgehängt. Das arme Ding.»
    Jaspers Lippen sind feucht. Er fängt an, die Worte zu verschleifen.
    «Kauft dein Dad denn nie was zu essen?», frage ich und bedaure die Frage auf der Stelle.
    «Soll das ein Witz sein?»
    «Na ja, ich weiß nicht. Für was gibt er sein Geld denn aus?»
    «Hauptsächlich für Grog, Nutten und Pferde. Aber selbst das hat nachgelassen, seit sie ihn gefeuert haben. Er hat seit Monaten keine Arbeit mehr gehabt. Soll er doch zur Armee gehen, der nutzlose Mistkerl. Sich nach Vietnam oder sonst wohin schicken lassen und da bleiben. Ich komme schon klar.»
    «Und was klaust du ihm?», dringe ich in ihn.
    «Was ich will vor allem: Glimmstängel, Schnaps und Geld, wenn er welches hat. Was sich in seinen Taschen so findet. Der Trick ist, es dann zu machen, wenn er komplett weggetreten ist. Weil er dann hinterher nicht weiß, ob er es verloren oder versoffen, verraucht oder ausgegeben hat. Wenn es ihn ganz schlimm erwischt, merkt er sowieso nichts. Es ist jedes Mal anders. Manchmal, wenn er sich wieder die Hucke vollgesoffen hat und meint, dass ich mich bei ihm bedient hab, lässt er’s mir durchgehen, weil er ein schlechtes Gewissen hat, aber das passiert nicht oft.»
    Jasper kratzt sich die Brust und hält mir wieder die Flasche hin. Ich verziehe das Gesicht.
    «Hattest du schon mal ein schlechtes Gewissen? Weil du Sachen nimmst?»
    «Noch nie, Kumpel. Weißt du, bei ihm hab ich einfach das Gefühl, dass er es mir schuldig ist. Er ist ein Arschloch von einem Vater. Ich
muss
es mir nehmen, Charlie, weil mir keiner was gibt. Mir hat man im Leben immer nur was weggenommen, also gleiche ich die Waagschale ein bisschen aus.»
    Ich nicke, und Jasper fährt fort:
    «Aber so kann man nicht die ganze Zeit denken. Das vergiftet einen. Und es hat keinen Zweck, dazuhocken und sich zu bedauern, weil die andern Kinder was zu Weihnachten kriegen oder ihr Alter sich um sie kümmert oder sie eine Mum haben, die klasse kochen kann oder so.»
    «Schon, aber du hast doch ein Recht auf …»
    «Nein, vergiss es, Charlie. Ich hab dir gesagt, dass ich so nicht denken will. Das bringt nichts. Ich will nicht so ein Scheißleben, wo man ständig damit rechnet, dass einen das Glück im Stich lässt, weil das schon immer so war. Nein. Wir haben immer geglaubt, dass es anders wird, dass sich das Blatt wendet, wenn wir erst mal hier rauskommen. Wir wollten in die Großstadt ziehen und steinreich werden. Glaubs mir.»
    «Wir?»
    «Ja. Wir.» Jasper schaut zu Boden und legt den Daumen auf den Flaschenhals. Wieder überkommt uns die Schwermut. Ich will sie auf Abstand halten, und das ist leichter, wenn er redet.
    «Wie sieht dein Plan denn aus? Wenn du hier rauskommst, meine ich.»
    «Tja, das hab ich noch nicht ganz durchdacht, aber mir fällt schon was ein. Ich hab ’n paar Eisen im Feuer.

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