Wer hat Angst vor Jasper Jones?
schlägt den Ball fest und sicher. Er springt geradewegs in An Lus Garten des Sicheren Todes, wo er unter etwas Weißblühendem verschwindet.
«Zack!», ruft Jeffrey. «Weißt du, Chuck, andere Schlagleute blocken einen Ball mit guter Länge einfach ab und gehen auf Nummer sicher, aber nicht Jeffrey Lu. Der hat Klasse. Kontrollierte Aggression, Chuck. Zurückhaltende Eleganz. Der Junge wird seinen Weg gehen.»
«Ja, zum Beispiel da rüber, um den Ball zu holen.»
«Quatsch, du bist dran.»
«Nix Quatsch. Du bist näher dran. Hol ihn.»
Ich kann die Bienen von hier aus sehen. Sie warten auf mich.
«Du bist dran, Blödmann. Hol den
Ball
. Du kannst Jeffrey Lu nicht solche Mistbälle andrehen.» Das Schattenboxen geht wieder los.
«Leck mich. Wenn du willst, dass ich weiterwerfe, holst du ihn.»
«Das ist ja wohl die Höhe! Wie kann es sein, dass ich für
deine
Mittelmäßigkeit bestraft werde?» Jeffrey wirft die Arme in die Luft, als erflehe er vom Himmel eine Antwort.
«Weil du ein Idiot bist.»
«Das ist diskriminierend!»
«Das lässt sich nicht ändern, Jeffrey. Ich bin nun mal ein bornierter Mensch.»
«Na gut.
Ich
hole den Ball.
Ich
biete den Insekten die Stirn.» Jeffrey stapft theatralisch hinüber und redet dabei mit sich selbst. «Wird es unserem kühnen Helden gelingen zurückzukehren? Oder werden ihn die Heerscharen gefährlicher Marienkäfer niedermachen?»
«Halt die Klappe, du Spinner. Er ist links von dir gelandet.»
«Wie war das, Chucktin Bucktin? Chuck Gack-gack-gack-gack-tin!»
«Du bist nicht mal in der Nähe des Balls. Und du zertrampelst die pinkfarbenen Blumen. Dein Dad wird ausrasten.»
In diesem Moment erstarre ich, denn in der Ferne ist das Dröhnen zweier Suchflugzeuge zu hören. Ich schaue auf. Spüre den kalten Wackerstein. Sie kommen, um mich zu holen.
«Super! Schau dir das an!», sagt Jeffrey und hüpft mit dem Ball in der Hand auf mich zu. «Wahrscheinlich sind sie wegen der Suchaktion hier. Wenn wir doch nur hingehen und ihnen bei der Landung zusehen könnten.»
Ich beobachte sie stumm. Zwei schwarze Libellen am Himmel.
«Ich gehe rein», sage ich.
Jeffrey tippt auf seine riesige schwarze Armbanduhr.
«Eigentlich eine gute Idee. Der zweite Spielabschnitt müsste gerade anfangen.»
«Ach nö, weißt du. Eigentlich will ich … Ich gehe nach Hause», sage ich distanziert und schaue weiter nach oben. Ich bin völlig durcheinander und habe das dringende Bedürfnis, in Deckung zu gehen.
«Was? Aber das Testmatch läuft!»
«Ja, schon … Wir sehen uns dann. Ich muss einfach …» Ich verstumme und gehe mit gesenktem Kopf davon.
«Schon gut, du Niete», flötet Jeffrey. Ich höre, wie er hinter mir die Kiste von der Straße zerrt. In aller Eile, um nichts zu verpassen.
Ich will meinen Vater über die Flugzeuge ausfragen. Ich will wissen, wie hilfreich sie sind. Wie weit man mit ihnen sehen kann. Doch er ist nicht zu Hause. Die Tür zu seinem Bibliothekszimmer ist angelehnt. Anscheinend hilft er bei der Suche. Ich wünschte, ich hätte ihn gefragt, ob ich mitkommen kann. Ich bin ein Idiot. Morgen werde ich es tun, auch wenn ich mir keine großen Chancen ausrechne.
Meine Mutter will wissen, ob ich zu Abend essen möchte. Ich lehne höflich ab.
«Hast du die Flugzeuge gesehen?», ruft sie.
«Ja», erwidere ich und mache leise meine Zimmertür zu.
Wenige Stunden später klopft es hektisch an meine Jalousie. Ich platze fast. Endlich ist Jasper Jones gekommen. Ich springe auf mein Bett und ziehe am Hebel, als wäre er ein Spielautomat.
Mein Fenster geht auf und zeigt einen aufgekratzten Jeffrey Lu. Ich runzle die Stirn. Er ist noch nie an mein Hinterfenster gekommen.
«Chuck! Chuck! Chuck!» Er grinst wie ein Verrückter.
«Was?» Ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen.
«Doug Walters!»
«Was?»
«Doug Walters, verdammt noch mal! Er hat gerade einen Century geschafft! Einen Century bei seinem ersten Testmatch!»
Ich bleibe stumm.
«Ich hab es doch gesagt!» Seine Begeisterung ist ein wenig ansteckend. «Er ist ein Champion, Chuck! Besser als Bradmann.»
«Jeffrey, das ist sein erstes Innings.»
«Seine Erfolgsquote ist jetzt schon besser.»
«Du bist ein Idiot.»
«Kann ich reinkommen und ein bisschen bleiben?», fragt er und hüpft auf der Stelle.
Ich öffne ihm die Hintertür.
«Wer ist da?», raunzt meine Mutter lauthals vom anderen Ende des Hauses.
«Bloß Jeffrey», rufe ich zurück.
«In unserem Haus kommt man durch die Vordertür
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