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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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herein. Schreibt euch das fürs nächste Mal bitte schön hinter die Ohren.»
    Ich schüttle den Kopf und verdrehe die Augen.
    In meinem Zimmer nimmt Jeffrey ein Buch vom Nachttisch.
    «Wendekreis des Krebses»
, liest er vor. «Worum geht es? Ist es gut?»
    «Wird ziemlich viel rumgetuttelt», sage ich.
    «Ehrlich?»
    «Ehrlich.»
    Er wirkt abwesend. Aufgekratzt. Und reibt sich wieder auf diese merkwürdige Art mit der Schulter an der Wange.
    «Warum liegt der ganze Dreck in eurem Garten?», will er wissen und sieht nach draußen. «Hast du Laura Wishart dort vergraben?»
    Ich schließe die Augen. Atme ein. Und aus.
    «Ja, du Idiot.»
    «Nein, ehrlich. Wofür ist das?»
    «Meine Mutter hat mich gezwungen, ein großes Loch zu buddeln, und als es fertig war, musste ich es mit bloßen Händen wieder zuschütten.»
    «Warum denn das?» Jeffrey verzieht das Gesicht.
    «Tja, du bist nicht der Einzige, der für seine Flucherei von seiner Mutter eins aufs Dach bekommen hat. Nur dass meine ein bisschen gezielter vorgegangen ist.»
    «
Was?
Ehrlich?» Jeffrey beißt sich in die Faust. «Wie kommt’s, dass du noch am Leben bist?»
    «Das wäre zu einfach gewesen. Sie wollte, dass ich leide. Ich sollte die Todesstrafe auskosten, ohne dass es zum Äußersten kommt. So ist das Loch entstanden.»
    «Das ist ja zum Brüllen, Chuck. Sie ist ein bösartiges
Genie

    Wir quatschen noch eine Weile. Ich sitze auf dem Tisch, und er hockt auf meinem Bett. Mir fällt auf, dass Jeffrey häufig den Blick senkt. Immer wieder huscht etwas über sein Gesicht, wie ein Film. Ich frage mich, ob er krank ist.
    Und dann spricht er es einfach aus. Ganz unvermittelt. Wie jeden anderen Satz.
    «Jemand aus meiner Familie ist ums Leben gekommen.»
    Er kickt mit den Füßen abwechselnd gegen den Bettpfosten. Es folgt ein langes Schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
    «Das ist schrecklich, Jeffrey. Wann? Und
wer
? Was ist passiert? Das ist wirklich schrecklich.»
    «Es ist gestern passiert. Mas Bruder und seine Frau. Mein Onkel und meine Tante. Viel mehr als das erzählen sie mir nicht. Es ist in dem Dorf passiert, in dem sie aufgewachsen ist. Ich weiß nicht genau. Ich glaube, es war eine Bombe.»
    «Eine
Bombe

    «Ja.»
    «Jeffrey, ich … Das ist wirklich grauenhaft. Bist du in Ordnung?»
    Jeffrey sieht überhaupt nicht mitgenommen aus. Seine Füße behalten ihren Rhythmus bei.
    «Ja, mir geht’s gut, Chuck. Ich habe sie nicht gekannt oder so. Bin ihnen nie begegnet. Aber es ist traurig. Am schlimmsten ist es natürlich für meine Ma. Ich fühle mich vor allem wegen ihr schlecht. Es geht ihr nicht gut. Sie hört gar nicht mehr auf, zu heulen und zu jammern, du weißt schon.»
    «Klar.»
    Ich nicke langsam und schaue zu Boden.
    Wie dicker beunruhigender Nebel breitet sich die Stille in meinem Zimmer aus.
    «Hatten sie Kinder?», frage ich nach einer Weile.
    «Ja. Zwei. Einen Jungen und ein Mädchen. Einer, der Junge, ist in meinem Alter, und das Mädchen ist vier, glaube ich.»
    «Geht es ihnen gut?»
    «Du meinst, ob sie auch bombardiert wurden?»
    «Äh, ja.»
    «Nein. Sie sind noch am Leben. Und ich glaube nicht, dass sie verletzt wurden. Meine Eltern versuchen sie hierherzuholen, damit sie bei uns wohnen können, aber ich glaube, das ist ziemlich schwer.»
    «Wirklich? Aber warum? Es sind doch
Waisen
! Sie müssten schnurstracks hierherkommen dürfen!»
    Jeffrey zuckt die Achseln.
    «Und was wird jetzt aus ihnen?», hake ich nach. Meine Brust schnürt sich immer enger zusammen.
    «Ich nehme an, dass sie bei unseren anderen Verwandten im Dorf bleiben. Obwohl das für die eine große Belastung ist, glaube ich. Also wird mein Dad ihnen einen Batzen Geld schicken.» Jeffrey reibt sich mit der Handfläche die Nase.
    «Wollen deine Eltern hinfahren? Zur Beerdigung und so?»
    Jeffrey legte den Kopf schief. «Na ja, ich habe meine Mutter davon reden hören gestern Abend, als sie total verzweifelt war. Sie wollte sofort losfahren. Hat angefangen, ihre Tasche zu packen und so. Aber Dad hat sie aufgehalten.»
    «Und warum?»
    Jeffrey wirkt einen Moment lang verblüfft. «Na, weil dort Bomben fallen, Chuck. Dort herrscht Krieg. Es ist ziemlich gefährlich. Selbst für mich.»
    «Aber irgendwas müssen sie doch tun können», sage ich.
    Wieder verfallen wir in Schweigen. Jeffrey rutscht auf dem Bett hin und her. Ich frage mich, was er denkt. Ob er zu mir gekommen ist, um darüber zu reden oder um dem Ganzen zu entfliehen. Ich weiß wirklich

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