Wer hat Angst vor Jasper Jones?
schirmt es mit der Handfläche ab. Sein verletztes Gesicht schimmert orange und erhellt für einen Moment die Nacht. Ich hocke mich im Schneidersitz in die Nähe, aber nicht ganz so dicht ans Wasser.
«Hast du Whiskey dabei?», frage ich.
Jasper hebt die Augenbrauen. Dann grinst er mit einem seiner eingerissenen Mundwinkel. Er greift nach unten und holt eine dünne Schnur ein, die an einer Wurzel neben seinem Bein befestigt ist. Am anderen Ende befindet sich eine Flasche. Das Plätschern der kleinen Wellen ist nervenaufreibend. Ich wende den Blick ab.
«Hier, Charlie. Black Bush. Edles Zeug, Kumpel. Wirklich nicht schlecht.» Als ich mich umsehe, hält Jasper mir die Flasche hin und fährt sich mit dem Handrücken über den Mund.
«Hier. Tu dir keinen Zwang an.»
Doch genau das mache ich. Ich nehme einen fingerhutgroßen Schluck, der genauso grausam brennt wie beim ersten Mal. Mir springen fast die Lippen aus dem Gesicht. Ich habe keine Ahnung, warum ich danach gefragt habe. Aber jetzt sitze ich hier mit dieser Flasche und muss irgendwie tun, als würde ich sie mir zur Brust nehmen. Ich atme aus und setze den Flaschenhals fest an den Mund. Dann trinke ich noch einen mächtigen Schluck. Meine Augen springen auf und ich muss hart kämpfen, um das brennende Zeug im Magen zu behalten.
«Sackzement. Schon … besser», keuche ich und gebe die Flasche zurück. Ich kann Jasper vor Tränen kaum sehen. «Das hab ich wirklich gebraucht.»
Das kauft mir garantiert niemand ab. Trotzdem gefällt mir die Wärme, die sich in meinem Bauch ausbreitet. Sie frisst und nagt an meinem Wackerstein. Ich schaue Jasper an und fühle mich ein wenig lockerer. Leichter. Dieses grässliche Gebräu erfüllt seinen Zweck. Ich zeige mit dem Finger auf ihn.
«War das dein Dad?», frage ich.
Er richtet sich ein wenig auf.
«Was soll mein Dad gewesen sein?»
Ich zeichne einen Kreis um mein Gesicht.
«Oh», sagt Jasper und betastet mit dem Finger sein Knallauge. «Nö. Eigentlich habe ich ihn gar nicht gesehen. Er ist letzten Freitag aus der Stadt verschwunden. War gar nicht da, als ich zurückkam.»
Letzten Freitag. Ich runzle die Stirn und lasse die Sache auf sich beruhen. Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich hysterisch, aber irgendwie macht mich das misstrauisch. Ist es nicht verräterisch, wenn jemand am Morgen nach einem Mord die Stadt verlässt? Jasper riecht den Braten sofort.
«Und er hat Laura nicht umgebracht, falls es das ist, was du denkst. Auf keinen Fall. Er ist vielleicht ein versoffener Nichtsnutz ohne Arbeit, der nachts beim Heimkommen über seine eigenen Schürsenkel stolpert, aber
das
bringt er nicht fertig. Mein Alter kann niemanden ins Jenseits befördern. Wär ihm wahrscheinlich viel zu anstrengend. Außerdem hätte Laura ihn vorher windelweich geprügelt.» Er lächelt wehmütig.
«Und wer war es dann?»
Jasper nimmt einen tiefen Zug und formt mit dem Mund einen perfekten silbernen Rauchring. Er runzelt die Stirn.
«Na komm, Charlie. Was denkst du wohl?»
«Ich habe nicht die geringste Ahnung, ehrlich.» Ich zucke die Achseln.
«Der Sergeant. Unser Polizeitrupp, Charlie.»
«Wie meinst du das?»
«So, wie ich’s sage. Sie haben mich auf die Wache bestellt und übers Wochenende eingelocht.»
«Was? Warum? Dürfen sie das denn?»
«Die brauchen keinen Grund, Kumpel. Außerdem, wem soll ich es schon melden?»
«Dann waren sie das?» Ich deute auf sein Gesicht.
«Ja klar.» Jasper spuckt, drückt seinen Zigarettenstummel aus und steckt ihn ein. Dann zündet er sich die nächste an. Mit der neuen Zigarette zwischen den Lippen murmelt er: «Die Rippen tun am meisten weh. Stahlkappen. Sind verdammt brutal.»
«Aber
warum
? Warum tun sie so was?»
«Scheiße auch», sagt Jasper, ohne jeden Groll. Er hält die Whiskeyflasche hoch, damit ich sie nehmen kann, und ich gehorche. «Das liegt doch auf der Hand, oder? Sie denken, dass ich was mit Lauras Verschwinden zu tun hab, und wollten, dass ich es zugebe.»
«Sie wollten, dass du gestehst?»
«Mehr oder weniger.»
«Und was hast du ihnen gesagt?» Ich trinke einen Schluck und fahre zusammen. Die Wärme sinkt in mich hinein und steigt dann nach oben.
«Ich hab ihnen gar nichts gesagt, Charlie. Kein einziges Wort. Die ganze Zeit über. Deshalb konnte ich auch bis gestern nicht richtig Luft holen.»
«Das ist ja schrecklich.» Mehr kann ich nicht sagen.
«So kann man es auch beschreiben.» Jasper grinst. «Das Gute daran ist, dass ich mitbekommen hab, was sie
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