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Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Wer hat Angst vor Jasper Jones?

Titel: Wer hat Angst vor Jasper Jones? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Silvey
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Hand, als wäre sie eine Strumpfpuppe, und schaut sie an wie etwas, das er ohne Brille zu lesen versucht.
    Beim nächsten Versuch bekommt er den Gürtel auf, öffnet den Reißverschluss und entlässt einen unglaublichen Urinstrahl auf sein Gartenbeet. Es hört gar nicht mehr auf. Der Mann muss eine Blase haben, so groß wie ein Eichenfass. Ich habe schon Feuerwehrschläuche gesehen, die weniger Wasser verspritzen. Mir sitzt irgendeine giftige Spinne im Nacken und wartet nur darauf, mir ihre langen Klauen ins Fleisch zu schlagen, und dieser Mann lässt durch seinen Schwanz den Mississippi ab. Ich will, dass er stirbt. Der Blitz soll ihn treffen. Noch nie habe ich mir eine göttliche Intervention inbrünstiger gewünscht als jetzt. Mit von Verzweiflung verzerrtem Gesicht sehe ich ihm zu. Er wiegt sich in den Hüften und drückt das Kinn tief auf die Brust, während er «It’s a Long Way to Tipperary» summt.
    Schließlich geht er schwankend ins Haus. Sobald die Tür zufällt, springen wir unter unserem Baldachin hervor. Ich renne los, als würden meine Glieder jemand anderem gehören. Am Ende der Straße bleibe ich stehen, durchwühle mir die Haare und zerre an meinem T-Shirt. Ich fahre mir über den Nacken, schlage mir auf die Brust und stampfe mit den Füßen. Ich muss völlig irre aussehen.
    «Charlie! Was machst du da?», zischt Jasper.
    Ich halte inne, nachdem ich mir das T-Shirt ausgezogen und es ausgeschüttelt habe.
    «Hä? Ach, ich dachte, es sitzt eine Spinne auf mir, weißt du. Eine tödlich giftige.»
    Jasper nickt bedächtig. Dann schüttelt er den Kopf.
    «Himmel, ich dachte, du wärst am Verrecken.»
    «Das dachte ich auch», sage ich und streife mir das Hemd vorsichtig wieder über. «Mann, was war das denn? Ein Kamel?»
    Zu meiner Überraschung lächelt Jasper. Es ist ein breites, freches Grinsen. Mir fällt auf, dass er Grübchen hat. Ein wenig stolz auf diesen Erfolg lächle ich ebenfalls. Nach einer Weile winkt er mich weiter.
    Auf dem Pfad zu Jaspers Lichtung reden wir kein Wort. Es ist merkwürdig. Ich habe das Gefühl, den Mund halten und ihm hinterherlaufen zu müssen.
    Mir ist mulmig zumute, als wir den Vorhang aus Blättern und Akazienblüten erreichen. Als würde ich gleich Laura wiedersehen, so wie sie war. Ein widerliches, ekelerregendes Gefühl. Es füllt meine Beine mit Blei und drückt mir das Herz ab. Der riesige Jarrah-Baum ragt dunkel in die Höhe. Ich will die Lichtung nicht betreten.
    «Bist du bereit?», fragt Jasper Jones.
    Ich schaue ihn benommen an.
    Jasper wartet meine Antwort gar nicht erst ab. Er schiebt die Akazienzweige beiseite und hält sie für mich fest. Ich bücke mich und trete ein. Ich muss.
    Ich schiebe mich mit geschlossenen Augen vorwärts. Als ich sie wieder öffne und mich umschaue, wirkt alles unheimlich, aber auch sehr vertraut. Obwohl ich nur einmal hier gewesen bin, fühlt es sich an wie ein Ort, den ich mein Leben lang besucht habe und an den ich nun nach langer Abwesenheit zurückgekehrt bin.
    Jasper steht neben mir. Er runzelt die Stirn.
    «Fühlt sich seltsam an», sagt er.
    «Ja. Geht mir genauso.» Ich lege den Kopf schräg und schaue mich um, als könne sich das Seltsame zwischen den umstehenden Bäumen zu erkennen geben wie ein matter grüner Nebel.
    «Nein, ich meine, es ist irgendwie anders …»
    «Wie denn?»
    «Keine Ahnung. Schwer zu sagen. Ich habe so ein unheimliches Gefühl im Nacken. Als wäre noch jemand hier gewesen. So fühlt es sich an.»
    «Kann das denn sein?», frage ich.
    «Klar kann das sein. Aber ich glaub es nicht.»
    Jasper schaut sich gründlich um, als misstraue er der Umgebung. Gebückt marschiert er zum Rand des Damms und verschwindet dann in dem hohlen, zeltartigen Baumstamm, sodass ich ihn nicht mehr sehen kann. Ich rühre mich nicht von der Stelle.
    Als er zurückkommt, stemmt er eine Hand in die Hüfte und reibt sich mit der anderen unterm Kinn.
    «Nö», meint er. «War keiner da.»
    Es klingt, als wolle er sich selbst überzeugen.
    «Wer? Du meinst die Polizei? Warum nicht? Sie waren doch die ganze Woche hier draußen, oder nicht?»
    Doch Jasper scheint nicht gewillt, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Plötzlich zuckt er kopfschüttelnd die Schultern und besinnt sich.
    «Zigarette?», fragt er und hält mir eine zerdrückte Packung Luckys hin. Ich tue, als würde ich darüber nachdenken, ehe ich ablehne, und trete zu ihm ans Wasser. Er setzt sich mit dem Rücken an einen Baum, zündet ein Streichholz an und

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