Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Hautstreifen gefertigt waren. Man fand bei ihm zudem zehn über den Augenbrauen abgesägte Frauenköpfe sowie neun Totenmasken, die aus Frauengesichtern erschaffen wurden. Diese grausamen Motive wurden in den Horrorfilmen
Das Schweigen der Lämmer
und
The Texas Chainsaw Massacre
aufgegriffen. Geins Wunsch war es, eine Frau zu werden. Diesem Wunsch kam er am nächsten, indem er sich einen Frauen-Bodysuit aus echter Menschenhaut schuf.
In der Psychoanalyse würde man Perversionen dieser Art so erklären: Es handelt sich um eine Ablöseproblematik von der Mutter, wobei der Betroffene die ursprüngliche Einheit mit ihr in der Gebärmutter wiederherstellen und mit ihr verschmelzen will. Ein raffiniert und nachvollziehbar erscheinendes Modell – aber die Frage nach dem Warum bleibt weiter offen. Tiefenpsychologische Deutungen gehen davon aus, dass ein Konflikt, der sich in der Kindheit gebildet hat, sich nicht auflöst, sondern in den unbewussten Teilen des Gehirns in einer Art Atommüllendlager jahrelang schlummert, um sich später in Form von krankhaften Symptomen zu entladen.
Jemand, der Frauen kidnappt und mit Lederriemen fesselt, will vielleicht seine Mutter, die ihn als Kind vernachlässigt oder verlassen hat, «an sich binden». Der vierfache Frauenmörder Frank Gust, der als «Rhein-Ruhr-Ripper» Schlagzeilen machte, schnitt einem seiner weiblichen Opfer das Herz heraus und legte es zwischen die Beine der Leiche. «Du trägst dein Herz in der Scheide», wollte der Täter damit vielleicht seiner Mutter gegenüber symbolisieren, die sich weniger um ihren Sohn kümmerte, nachdem sie einen neuen Mann kennengelernt hatte.
Eine weitere psychoanalytische Erklärung geht davon aus, dass ein Sexualmord dazu dienen soll, die eigenen sexuellen Lüste, die im Unbewussten als unmoralisch verdammt werden, abzuwehren. Wenn ein sadistischer Triebtäter Prostituierte tötet, projiziert er aus psychodynamischer Sicht seine eigenen schmutzig-triebhaften Impulse in die Huren und bestraft sie stellvertretend. [38]
So werden in der Psychoanalyse perverse Straftaten durch Konflikte und Erlebnisse der Kindheit gedeutet. Als Konsequenz versucht man, in der Therapie unbewusste Konflikte aufzudecken und durch Gespräche zu heilen. Allerdings bleiben solche Erklärungen lediglich auf den ersten Blick einleuchtende und anschauliche Modellvorstellungen. Sie beschreiben zwar das Phänomen auf interessante, oberflächlich plausible Art, liefern aber keine vollständigen, in die Tiefe gehenden und widerspruchsfreien Begründungen. Jedes Kind hat ein ambivalentes Verhältnis zur Mutter – es will nicht in seiner Freiheit beim Spielen eingeschränkt und gegängelt werden, aber es will gleichzeitig auch nicht von der Mutter getrennt werden. Die Frage ist, warum sich dieses Dilemma bei einem Kind auswächst und bei einem anderen zur Totmacherkarriere führt. Auf diese Fragen geben psychoanalytische Theorien keine befriedigende Antwort. Selbst wenn der Begriff «Tiefenpsychologie» suggeriert, dass diese Theorie uns in die Katakomben des menschlichen Gehirns begleitet, um den dunklen Geheimnissen psychopathischen Verhaltens auf die Spur zu kommen, wird dieses Versprechen nicht eingelöst: Die Interpretationen bleiben ohne wirklichen Tiefgang und erklären ein unerklärliches Phänomen mit einem anderen, letztlich ebenso schleierhaften Modell.
Und oft gibt es weniger spekulative, dafür aber leichter nachvollziehbare Erklärungen: Manchen Tätern scheint es nur um die Ausübung der Macht, um die totale Kontrolle zu gehen. Jemand, der Kinder tötet, versucht, seinen unkontrollierbaren Hass in diejenige Richtung zu lenken, in der er am wenigsten Widerstand erwartet. Jemand, der Mädchen überfällt, quält und vergewaltigt, will sich selbst demonstrieren, dass er nicht so schwach und hilflos ist, wie andere Menschen von ihm denken oder wie er sich persönlich wahrnimmt. Hat Jack Unterweger Prostituierte getötet, weil seine Mutter mehr Zeit für ihre Liebhaber hatte als für den kleinen Johann? Das wäre eine elegante Deutung. Aber warum ermordete er dann nie die Frauen, mit denen er längere, auch sexuelle Beziehungen hatte? Oder wurden die Damen vom Strich einfach nur deshalb seine Opfer, weil man sie leichter an einen entlegenen Ort locken und die Polizei schwerer eine Verbindung zum Täter aufdecken kann?
Gäbe es kontrollierte Studien, die zeigen, dass die psychodynamische Aufdeckung von Konflikten dazu führt, dass die Täter für alle
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