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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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Zeit geheilt sind, könnte man solchen Hypothesen leichter Glauben schenken – aber es existieren keine solchen Untersuchungen. Dass aber die Psychoanalyse uns helfen kann, Vorhersagen über die zukünftige Entwicklung von Straftätern zu erstellen, wurde von herausragenden Psychoanalytikern erst gar nicht versprochen. Schon 1912 schrieb der Schweizer Analytiker Carl Gustav Jung an Sigmund Freud: «Unzurechnungsfähigkeit ist bekanntlich keine Auskunft aus der Tiefenpsychologie.» [39]

Das chemische Glück
    Wenn wir die Hintergründe der abscheulichen Verbrechen sadistischer Mörder verstehen wollen, müssen wir noch weiter in die Tiefe gehen, nämlich auf die Ebene der Moleküle und Botenstoffe im Gehirn. Viele psychische Auffälligkeiten können durch Unzulänglichkeiten der Gehirnchemie begründet werden. Die nun folgenden Erklärungen sind jedoch spekulativ, da die Forschung auf diesem Gebiet gerade erst begonnen hat. Bei manchen Persönlichkeitsstörungen scheint eine Fehlfunktion des sogenannten Belohnungssystems vorzuliegen. Kommen wir noch einmal zur Borderline-Störung zurück, mit der sich das Phänomen am besten erklären lässt.
    Bei dem Belohnungssystem handelt es sich um ein kleines Gehirngebiet, das für angenehme Emotionen zuständig ist. Man muss sich das so vorstellen, dass dort ein kleines Männchen im Gehirn sitzt, das uns mit einer winzigen Spritze ein Hormon namens Dopamin verabreicht, welches Glücksgefühle auslöst, wenn es seine Zielzelle erreicht. [40] Diesem System ist ein weiteres vorgeschaltet, das endogene Opiatsystem (kurz EOS genannt). Alle schönen Empfindungen des Lebens werden durch Endorphine vermittelt. Dies sind Stoffe, die dem künstlich hergestellten Medikament Morphin ähneln, aber im Gehirn auf natürliche Weise gebildet werden. Wenn die Endorphine an ihren Wirkorten, den Opiatrezeptoren im Gehirn, andocken, ist dies, als würde man einen Schlüssel in ein Schloss stecken, und ein angenehmes Gefühl durchströmt unseren Körper.
    Die Natur hat uns mit diesem Wohlfühlsystem ausgestattet, damit wir den wichtigsten lebenserhaltenden Maßnahmen nachgehen: ernähren und vermehren. Wenn wir uns hungrig und durstig über einen Leberkäse mit Kartoffelsalat und ein Weizenbier hermachen, werden Endorphine in die Blutbahn gespritzt als Belohnung dafür, dass wir etwas für unser Überleben getan haben. Wenn das nicht so wäre, würden wir vielleicht vergessen, etwas zu essen. Ebenso kreisen die Glückshormone im Gehirn, wenn wir es miteinander im Bett treiben. Diese Belohnung scheint die Natur so eingerichtet zu haben, damit unsere Art erhalten wird. Hunger, Durst und Sex sind Primärbefriedigungen. Wenn sie nicht erfüllt werden, fühlen wir uns unwohl.
    Zudem gibt es Ersatzbefriedigungen: Geld kann man zwar nicht verspeisen, aber man kann sich damit Essen kaufen. Daher führt auch ein Geldgeschenk zu einer Aktivierung im Belohnungssystem, die durch eine bildgebende Untersuchung des Kopfes nachgewiesen werden kann.
    Das EOS hat aber noch andere Funktionen. In allen Notsituationen spielt es eine wichtige Rolle. Bei schweren Verletzungen sorgt es für Schmerzfreiheit und Euphorie, um den Überlebenskampf zu erleichtern. In einer aggressiven Auseinandersetzung bekommen wir die Endorphine ins Gehirn geschossen, wenn wir den Kampf gewonnen haben oder knapp dem Tode entronnen sind. Im Hungerzustand halten uns diese Hormone durch ein euphorisierendes Gefühl bei Laune, damit wir auf der Suche nach Nahrung nicht aufgeben.
    Wenn die Einheit aus EOS und Belohnungssystem freie Bahn hätte, würden wir ständig essen, trinken und kopulieren, und es würde uns einen höllischen Spaß bereiten, wenn wir uns wie wilde Tiere Nahrung und Sex durch brutale Kämpfe besorgen würden.

Das schlechte Gewissen
    Allerdings gibt es im Gehirn verschiedene Angstsysteme, die das EOS ausbremsen, wenn wir es zu toll treiben wollen. Besonders wichtig ist das soziale Angstsystem, eine Instanz, die uns warnt, wenn wir dabei sind, uns auf der Suche nach einer Triebbefriedigung unbeliebt zu machen, indem wir die Rechte anderer Menschen einschränken. Dieses Angstsystem sorgt dafür, dass wir auf unserer Suche nach dem höchsten Glück nicht Regeln, Gesetze und Tabus übertreten.
    Und dann haben wir als Drittes noch ein «Vernunftgehirn», das wir uns im Stirnhirn angesiedelt vorstellen müssen. Mittels einer solchen Denkfabrik ist der Mensch in der Lage, hochkomplexe Vorgänge zu reflektieren. Hier wird

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