Wer hat Angst vorm bösen Mann?
entschieden, ob er Triebbedürfnissen des Belohnungssystems nachgibt, um zum Beispiel Sex mit der schönen Nachbarin zu haben, oder ob er auf das Angstsystem hört, das ihn eindringlich davor warnt, da er sonst Schwierigkeiten mit der eigenen Frau und dem Ehemann der Nachbarin bekommen könnte. In der Regel sind das Belohnungssystem und das soziale Angstsystem im Gleichgewicht, und das Vernunftgehirn hat keine großen Schwierigkeiten, zwischen den beiden zu vermitteln.
Aber das Vernunftgehirn und das Belohnungssystem sind zwei Parallelwelten, deren Bedürfnisse nicht immer übereinstimmen.
Schon in der Bibel findet sich eine Analogie: Mit dem Satz «Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach» (Matthäus 26 , 40 – 41 ) wird ausgedrückt, dass es zu einem Widerstreit zwischen den vernünftigen Anteilen des Gehirns und den maßlosen Ansprüchen des EOS kommen kann. Bei Patienten mit einer Borderline-Störung scheint es aber so zu sein, dass der Mangelzustand im EOS im Vordergrund steht, sodass einige Gefahren in Kauf genommen werden, um dieses System zu befriedigen.
Gene, Gewalt und Gehirnschäden
Wie kommt es zu einem solchen EOS -Defizit? Am wahrscheinlichsten ist es, dass sich der vererbte Anteil der Borderline-Störungen in einem neurobiologischen Defekt manifestiert. Denkbar wäre aber auch, dass frühe Belastungen in der Kindheit und das ungünstige soziale Umfeld, das man häufig bei Menschen mit einer Borderline-Störung findet, sich in nachhaltigen Veränderungen im Gehirn bemerkbar macht, die letztlich zu einem erhöhten Endorphin-Verbrauch führen. Wie immer in der Psychiatrie müssen wir von Wechselwirkungen ausgehen: Wenn die Eltern schon das Borderline-Gen hatten, wuchsen die Kinder vielleicht in einem Umfeld auf, das von Gewalt, unkontrollierten Emotionen, sexueller Zügellosigkeit oder Alkohol geprägt war. So kombinieren sich beim Kind die Gene mit einer ungünstigen Umwelt.
Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, dass subtile Hirnschäden wie ein Sauerstoffmangel während der Geburt bei manchen Betroffenen für diese Fehlfunktion verantwortlich sind, denn wir wissen, dass geistig Behinderte manchmal Borderline-ähnliche Symptome zeigen, wie Selbstverstümmelung, fehlende sexuelle Triebkontrolle und einen Mangel an Empathie für andere. Und dann ist noch der Fall erdenklich, dass sich eine Hirnveränderung ohne genetische oder soziale Einflüsse allein durch eine spontane Mutation ausbildet.
So muss man davon ausgehen, dass sich die verschiedenen Risikofaktoren – bei jedem Individuum unterschiedlich – auf komplexe Weise vermischt und gegenseitig beeinflusst haben, um schließlich zum Symptombild einer Borderline-Störung zu führen.
Es existieren verschiedene Therapiestrategien für diese schwierige Krankheit: Man kann den Patienten mit speziellen Formen der Verhaltenstherapie und diversen Medikamenten helfen. Selbst wenn die Behandler sich engagiert und oft aufopferungsvoll um die Patienten kümmern, sind die Erfolge nicht in allen Fällen so durchgreifend, dass man von einer Heilung sprechen kann. Die Patienten müssen immer wieder notfallmäßig in die Psychiatrie eingeliefert werden. [51] , [52] Was könnte die Forschung tun, um diesen Menschen in Zukunft besser zu helfen? Wie wir noch sehen werden, eröffnet die EOS -Theorie, wenn sie sich als zutreffend herausstellen sollte, völlig neue Behandlungsmöglichkeiten.
Der direkte Weg zum Motorrad
Für das EOS ist charakteristisch, dass es stets nach unmittelbarer Befriedigung strebt. Es duldet keinen Belohnungsaufschub. Daher wollen antisoziale Personen immer alles sofort und ohne Umschweife in ihren Besitz bekommen. Anstatt jahrelang für ein BMW -Motorrad zu arbeiten, stehlen sie es einfach auf dem Parkplatz vor dem Sportstadion. Anstatt ein Mädchen umständlich mit Liebesbriefen, tiefschürfenden Gesprächen oder Kinoeinladungen zu umgarnen, vergewaltigen sie es hinter einem Schuppen. Wenn sie Drogen nehmen, dann am liebsten solche, die blitzartig ihre euphorisierende Wirkung ausüben, wie Heroin oder Kokain. Alles das spricht dafür, dass die Hauptsymptomatik der antisozialen Persönlichkeitsstörung durch einen Hang zu schneller Befriedigung des EOS bestimmt wird.
Männer haben etwa fünfmal häufiger antisoziale Störungen als Frauen, während das Verhältnis bei der Borderline-Störung genau umgekehrt ist. Was liegt näher, als anzunehmen, dass beiden Störungen ein gemeinsamer Mechanismus zugrunde liegt,
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