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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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der bei Männern vornehmlich zu dissozialen Entwicklungen, bei Frauen eher zu Borderline-Störungen führt? Kann es sein, dass ein Defekt im EOS der gemeinsame Faktor ist, der Frauen emotional instabil macht und Männer kriminell? So könnte man beide Störungen als geschlechtsspezifische Ausprägungen einer einzigen Störung erklären.
    Auch wenn beide Diagnosen in ihrem Erscheinungsbild auf den ersten Blick sehr verschieden zu sein scheinen, haben sie doch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Fast alle Symptome eines Borderline-Syndroms sind zu einem gewissen Prozentsatz ebenfalls bei den antisozialen Persönlichkeitsstörungen vorhanden; die Unterschiede sind nur graduell. So kommen Selbstverletzungen bei antisozialen Männern seltener vor als bei Borderline-Frauen. Aber dafür werden die Männer öfter in einer Schlägerei verletzt, die sie selbst angefangen haben. Oder sie verschlucken im Gefängnis Besteckteile, um zu erzwingen, dass sie ins Krankenhaus verlegt werden. Manche Symptome – wie die Tendenz zur Magersucht bei weiblichen Borderlinerinnen – sind allerdings nicht typisch für antisoziale Männer.
    Bei Frauen mit einer Borderline-Störung finden wir aber eine Neigung zur eigensüchtigen Erfüllung der Wünsche des EOS , wobei das soziale Denken auf der Strecke bleibt. Obwohl Frauen zwar generell deutlich weniger zur Anwendung von Gewalt neigen und Straftaten naturgemäß viel seltener als bei antisozialen Männern vorkommen, zeigen sich bei ihnen ebenfalls sozial unverträgliche Verhaltensweisen: Ladendiebstahl, Streitsucht, Lügen um des Lügens willen oder Untreue gegenüber dem Partner. Davon können Psychotherapeuten ein Lied singen, die sich redlich um die manchmal schwierigen Patientinnen bemühen und sich als Dank dafür Unwahrheiten, pampige Angriffe und Beleidigungen anhören müssen – was sie ihren Klienten meist großzügig verzeihen, da sie wissen, dass ein solches Verhalten zum Symptombild dieser schwierigen Erkrankung gehört.
    Neben den zahlreichen gemeinsamen Symptomen gibt es weitere verblüffende Übereinstimmungen: Sowohl die Borderline- als auch die antisoziale Störung beginnen in der Pubertät und bessern sich oft gegen Ende des dritten Lebensjahrzehnts allmählich. Und beide Symptombilder haben gemeinsame Erbfaktoren: So bekommen antisoziale Väter Borderline-Töchter und umgekehrt.
    Diese EOS -Theorie lässt weiterhin zu, dass es auch Männer gibt, die mehr dem Borderline-Spektrum zuzuordnen sind als der antisozialen Persönlichkeit und die Verhaltensweisen wie Selbstverletzungen oder Essstörungen zeigen. Umgekehrt sieht man Borderline-Frauen mit eindeutig antisozialen Eigenschaften, die wegen Körperverletzung ins Gefängnis kommen – aber eben deutlich seltener als Männer.
     
    Das wäre zunächst einmal eine sehr reduzierte Theorie, die das soziale Umfeld der Betroffenen und andere Milieubedingungen vernachlässigt. Aber sie ist verblüffend, weil sie für bestimmte, bisher unerklärliche Symptome plausible Begründungen liefert und weniger Unstimmigkeiten hat als so manche frühere Hypothese. Dennoch sollte man danach streben, sie mit allen bisherigen Erkenntnissen der Forschung in Deckung zu bringen.
    Die heutige Standardtheorie geht vereinfachend davon aus, dass eine Borderline-Störung allein durch sexuellen Missbrauch in der Kindheit entsteht und antisoziales Verhalten durch körperliche und/oder sexuelle Gewalt. Solche simplifizierenden Erklärungen verheddern sich immer wieder in Widersprüche, und man muss sich drehen und winden, wenn man versucht, sie mit der Realität zu konfrontieren.
    Am besten wird man der wissenschaftlichen Wahrheit gerecht, wenn es einem gelingt, neurobiologische und genetische Befunde mit den psychischen und sozialen Hintergründen in Einklang zu bringen. Die EOS -Theorie ist nur ein Puzzleteilchen, das uns vielleicht hilft, den Hintergründen dieser schwerwiegenden psychischen Störungen ein klein wenig näherzukommen.

Mammutschnitzel
    Nur sechs Prozent der Gefängnisinsassen in Deutschland sind Frauen. [55] Warum hat es die Natur so eingerichtet, dass Männer in der Regel gewalttätiger sind als Frauen?
    Zunächst ist davon auszugehen, dass Gewalttätigkeit – ähnlich wie die Körpergröße – statistisch «normalverteilt» ist. Das heißt: Sie folgt der Linie einer Glockenkurve mit den besonders Friedfertigen am unteren, den Brutalen am oberen auslaufenden Ende sowie einer großen Mehrheit von in dieser Hinsicht

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