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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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durchschnittlich veranlagten Menschen im mittleren Bauch der Kurve. Es gibt nirgendwo einen deutlichen Knick in ihr, sondern einen eher fließenden Übergang von der Barmherzigkeit zur Erbarmungslosigkeit. Diejenigen, die am oberen Fünf-Prozent-Ende dieser Kurve angesiedelt werden, sind nicht unbedingt im Vorteil, denn sie verbringen nicht selten einen großen Teil ihres Lebens in Gefängnissen (wenn sie nicht Diktatoren geworden sind).
    In grauer Vorzeit war das aber einmal anders. Eine Theorie nimmt an, dass sich unsere Vorfahren, die männlichen Hominiden, erst vor etwa zwei Millionen Jahren von reinen Vegetariern zu Fleischfressern entwickelten. Damals war das aus energietechnischen Gründen möglicherweise ein Überlebensvorteil – Pflanzenfresser mussten nach dieser Hypothese einfach mehr Nahrung beschaffen und energiemäßig mehr Aufwand treiben, um genauso kräftig zu werden wie die Fleischliebhaber. Nur Männer, die genügend Mammutschnitzel zurück in die Höhle brachten, konnten ihre Familie ernähren. Und wenn die Nahrungsressourcen knapp waren, überlebten diejenigen, die, ohne zu zögern, ihre Nachbarn erschlugen.
    Der Konstanzer Psychologe Thomas Elbert nimmt daher an, dass sich in jenen Zeiten eine «Lust am Töten» entwickelte, weil das Erjagen eines Tieres mit einer Ausschüttung im Belohnungssystem einherging. [56] Die Urzeitmenschen, die aufgrund ihrer Gehirnstruktur keine «Bonuszahlung» für das Erlegen einer Beute empfingen, starben aus, während sich diejenigen durchsetzten, die das Mordlust-Erfolgsmodell von Generation zu Generation auf dem Erbwege weitergaben. Auch bei der Partnerwahl dürften Weichlinge und Frauenversteher in der Urzeit weniger Glück gehabt haben – während diejenigen, die sich die Frauen mit Gewalt nahmen, mit den Genen einen Darwin’schen Überlebensvorsprung über die Jahrtausende forttrugen.
    Selbst wenn in unserer Kultur die Antisozialität in den Hintergrund gedrängt wurde, ist sie durchaus noch lebendig, obwohl sie aktuell nicht gerade als überragendes Erfolgsrezept angesehen werden kann. Heute kommt man mit Respekt und Rücksichtnahme meistens weiter im Leben, auch wenn in vielen Sozialisationen leider Ausnahmen von dieser Regel existieren.
    Vielleicht wird es in einer fernen Zukunft einmal ein Selektionsvorteil sein, wenn man intelligent, höflich und rücksichtvoll durch das Leben geht und in der Lage ist, Computerbetriebssysteme zu verstehen. Aber das wird noch einige tausend Jahre dauern. Wir haben mehr mit den Affen und anderen Tieren gemeinsam, als uns lieb ist. Und die antisozialen Persönlichkeiten sind – mehr als der brave Normalbürger – im Animalischen verwurzelt (was übrigens dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass der Volksmund sie als «Affen», «Tiere» oder «Bestien» bezeichnet).
     
    Eine Fehlfunktion des EOS ist aber möglicherweise nicht die alleinige Ursache einer antisozialen Entwicklung. Wie wir später sehen werden, gibt es ebenso ein Problem mit dem sogenannten sozialen Angstsystem.

Die Finger in der Hosentasche
    Die meisten Menschen haben Gehirnanteile, die rationales Denken ermöglichen. Unser Vernunftgehirn ist wahrscheinlich irgendwo im Stirnhirn angesiedelt – die Neuroanatomen haben sich da noch nicht festgelegt. Es versucht gegenzusteuern, wenn das EOS seine unverschämten Forderungen stellt. Dabei wird die Vernunftinstanz vom sozialen Angstsystem unterstützt. Fordert das dreiste EOS zum Beispiel, man solle eine fremde Frau unsittlich an der Brust berühren, meldet sich das Angstsystem und redet von den hohen Strafen, die auf sexuelle Belästigung stehen. Es droht, die Lust auf Sex durch starke, unangenehme Angstgefühle auszubremsen. Das Vernunftgehirn möchte jeden Ärger vermeiden, vermittelt zwischen den beiden Antipoden und entscheidet: «Lass das mal schön bleiben, lass deine Finger in der Hosentasche.» Wenn allerdings das EOS durch einen Mangelzustand zum Raubtier wird, gelingt es dem Angstsystem oft nicht, dagegen anzusteuern. Das Vernunftsystem ist ohnehin die schwächste dieser drei Instanzen.
    Wenn also ein Sexualtriebtäter in einem einsamen Wald ein hübsches Mädchen auf einem Fahrrad sieht, wird die Übermacht des EOS so stark, dass die warnenden Rufe des Angstsystems überhört werden und das Vernunftsystem sich machtlos und handlungsunfähig ausklinkt.

Die Wunderdroge
    Eine neue Theorie muss noch den «Na und?»-Test bestehen. Was nützt, wie gesagt, eine bahnbrechende Erkenntnis, wenn wir

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