Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Präferenz aber nicht aussuchen, und wen das Schicksal dazu verdammt hat, ein Pädophiler zu sein, hat nur die Wahl, gegen moralische Gesetze zu verstoßen und dafür geächtet und bestraft zu werden oder auf ein erfülltes Sexualleben zu verzichten. Er kann nichts für die fehlerhafte Verdrahtung seines Gehirns. Natürlich gibt es genügend Personen mit «normalen» sexuellen Veranlagungen, denen es durch vielerlei Umstände ebenso versagt ist, ihr persönliches sexuelles Glück zu finden, und die sich dennoch nicht mit Gewalt holen, was sie vermissen. Aber sie sind nicht in der ausweglosen Situation eines Pädosexuellen.
Heißt das, dass wir asozialen Schlägern und Kinderschändern alles vergeben müssen, dass sie im Grunde genommen gar nicht schuldig sind? Die Presse ist schnell mit Urteilen bei der Hand, dass Psychiater und Psychologen allzu rasch einem Straftäter verzeihen, im Sinne von: «Der arme Kindsmörder kann nichts für seine unselige Veranlagung.» Früher hatte man es immer auf eine schwere Jugend geschoben – und jetzt soll auch noch die Hirnchemie an allem schuld sein? Und wird ein Täter kurz nach seiner Haftentlassung wieder einschlägig straffällig, wird den Seelenklempnern, die der Freilassung zugestimmt haben, vorgeworfen, dass sie weltfremd oder naiv waren oder aber die Rechte der Täter über die der Opfer stellten. Wir werden aber noch sehen, dass das Thema Schuld und Sühne sehr kompliziert wird, wenn es um persönlichkeitsgestörte Straftäter geht.
Ohne dass sich unsere Rechtsgelehrten näher mit dem EOS beschäftigt haben, ist ein adäquater Umgang mit psychisch kranken Straftätern schon lange in unserem Gesetzessystem eingebaut. So ist es vorgesehen, dass ein Delinquent mit nachgewiesener psychischer Störung schuldunfähig ist oder eine mildere Strafe erhält als ein gewöhnlicher Straftäter, also zum Beispiel vier statt fünf Jahre für die gleiche Tat – weil eben seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit gemindert war. Aber es kann auch sein, dass er nach dem Absitzen der Strafe nicht freigelassen wird, sondern eine lange Sicherungsverwahrung erhält, weil man befürchtet, dass er wegen seiner seelischen Störung nicht wie andere Straffällige adäquat auf eine Strafe reagiert hat.
Die Axt in der Toilettentür
Ich hätte es wissen sollen, irgendetwas stimmt mit ihm nicht, dachte die vierzigjährige Tierpflegerin Marianne K. verzweifelt. Ihr Mann Reinhold, mit dem sie seit sieben Monaten verheiratet war, drehte völlig durch. Er war sonst ein sehr ruhiger Mensch, aber heute war er völlig ohne Anlass ausgerastet. Er hatte sie in der Küche ins Gesicht geschlagen, ihr den Arm umgedreht, die Haare büschelweise ausgerissen und sie in den Bauch getreten. Nur weil sie in höchster Todesangst wie eine Löwin kämpfte, hatte sie sich losreißen, die Treppe nach oben in die Toilette hasten und die Tür abschließen können. Würde sie jetzt das gleiche Schicksal erleiden wie Reinholds erste Frau Helga, die er vor vielen Jahren mit einem Beil erschlagen hatte? Zitternd, weinend und blutüberströmt kauerte sie auf den Fliesen. Ihr Horror kannte keine Grenzen, als Reinhold K. jetzt mit wuchtigen Schlägen die Tür einschlug. Bei jedem Hieb sah man einen größeren Teil der riesigen Axt durch die Füllung ragen.
Als ich als junger Assistenzarzt in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, in der psychisch kranke Straftäter untergebracht waren, wurde eines Tages der vierundvierzigjährige Reinhold K., ein Kraftfahrzeugmechaniker, zur Erstellung eines Gutachtens auf meine Station eingewiesen. Vor vielen Jahren hatte er seine erste Ehefrau Helga erschlagen. Er wurde wegen Totschlags zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Dass er schuldig war, schien angesichts der erdrückenden Beweislage klar. Was aber immer ein Rätsel blieb, war sein Motiv. Der Patient selbst nannte keinen Grund für seine Tat. Er war nie zuvor gewalttätig geworden, und er hatte sich nie heftig mit seiner Frau gestritten. Eifersucht spielte keine Rolle, und zu erben gab es nichts. Der Richter beauftragte einen Psychiater, ein Gutachten zu erstellen, darüber, ob die Tat durch eine seelische Erkrankung erklärbar war. In der hundertfünfzigseitigen Expertise wurde zwar ausführlich über eine möglicherweise problematische Mutterbeziehung spekuliert, aber eine plausible Ursache für das Verbrechen wurde nicht gefunden. Eine psychiatrische Erkrankung konnte nicht festgestellt werden, und so wurde der Patient
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