Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Nach drei Monaten zeigte sie ihn allerdings auf Raten ihres Pfarrers bei der Polizei an – möglicherweise aus Eifersucht, weil Colleen an Hooker in einem Brief geschrieben hatte, dass sie es kaum erwarten könne, zu ihm zurückzukommen.
Die Ehefrau enthüllte auch, dass Hooker ein Jahr vor Colleens Kidnapping bereits eine andere Frau, die neunzehnjährige Marliz Spannhake, entführt hatte. Marliz war ebenfalls als Tramperin unterwegs gewesen. Er habe sie vergewaltigt und gefoltert, so Janice. Da sie aber nicht aufhören wollte zu schreien, habe er versucht, ihre Stimmbänder zu durchschneiden. Dabei verletzte er sie so stark, dass Luft aus ihrem Hals entwich und er damit rechnete, dass sie ohne ärztliche Hilfe nicht überleben würde. Die verblutende Marliz schrieb ihm einen Zettel, dass ihre Eltern sicher für ein Lösegeld aufkommen würden. Er schoss ihr daraufhin mit einer Schrotflinte mehrfach in den Bauch; aber auch daran verstarb sie nicht sofort. Schließlich erwürgte er sie mit den bloßen Händen.
Dies alles sagte Janice als Zeugin aus. Intensiv suchte man nach der Leiche von Marliz Spannhake. Da aber seit der Tat neun Jahre vergangen waren, wurde sie nie gefunden, und so gab es keine Mordanklage.
Im Gerichtsprozess, der 1985 begann, hatte die Vertreterin der Anklage, Christine McGuire, größte Mühe, dem Gericht klarzumachen, dass Colleen Opfer eines Verbrechens war und nicht freiwillig eine sadomasochistische Beziehung in dieser seltsamen Wohngemeinschaft eingegangen war. [136] Die Zuschauer im Gerichtssaal hielten es nicht für möglich, dass Hooker, dieser zurückhaltende, sanfte, liebenswürdige, ruhige und unauffällige Sonderling, wie ihn die Nachbarn beschrieben, zu solchen Taten fähig war. Hookers Verteidigung zielte darauf ab, dass Colleen sich freiwillig und mit Spaß an den sadomasochistischen «Spielen» beteiligt und der Angeklagte daher nichts Ungesetzliches getan habe. Sie habe sich in Hooker verliebt und sei deswegen bei ihm geblieben.
Warum erschien Colleen körperlich weitgehend unversehrt, nur wenig geschwächt, so gut gepflegt, so wohlernährt und hübsch?, fragten sich die Zuschauer im Gericht. Warum hatte sie keine nennenswerten Narben oder Blutergüsse? Warum konnte sie so sachlich, ohne starke Affekte, ohne Wut und Tränen über ihre Qualen berichten? Und warum hatte sie im Gericht diesen merkwürdig leeren und matten Gesichtsausdruck?
Warum hatte sie nicht versucht, zu entkommen? Warum hatte sie den Nachbarn der Hookers oder den Eltern während ihres Besuchs nichts von den Qualen, die ihr zufügt wurden, erzählt? Warum durften die beiden Frauen in eine Bar gehen und Männer kennenlernen? Wie erklärten sich die Ausflüge, bei denen Colleen Wasserskifahren lernte? Wie die Aufnahmen, auf denen sie wie ein glückliches Mitglied der «Familie» aussah? Warum rief Colleen nach ihrer Flucht neunundzwanzigmal bei den Hookers an, wie die Telefongesellschaft recherchiert hatte? Warum beschwor sie in Tagebüchern ihre Liebe zu Cameron Hooker? Warum schrieb sie Briefe mit Sätzen wie «Ich liebe dich mehr, als alle Worte sagen können» oder «Für deine Liebe lohnt es sich, eine Sklavin zu sein»? [137] Warum schickte sie Hooker das Foto, das ihr Vater bei ihrem Besuch gemacht hatte, das sie mit dem Täter als verliebtes Pärchen zeigte?
Nach den Aussagen von Janice habe Colleen ihren Mann so sehr geliebt, dass sie, Janice, eifersüchtig wurde. Auch Colleen räumte ein, dass sie so etwas wie Liebe und Dankbarkeit für Cameron entwickelt habe, nachdem er sie nach Jahren aus der Kiste befreit habe.
Die Ehefrau des Angeklagten lieferte dem Gericht aber auch eine Erklärung für dieses seltsame Verhalten: Cameron habe eine übernatürliche Macht und habe sie mit einer unsichtbaren Kette gefesselt. Er habe Colleen einer vollkommenen Gehirnwäsche unterzogen, ähnlich wie es der Sektenführer Jim Jones (siehe Seite 238 ff.) mit seinen Anhängern gemacht habe.
Warum aber ging Hooker das Risiko ein, sie frei herumlaufen zu lassen? Zu seinen Größenphantasien passte es wohl, dass er annahm, die völlige Kontrolle über Colleen übernommen zu haben, was seine Machtgelüste weiter potenzierte. Er gab sich offenbar der Illusion hin, dass Colleen ihn liebe und ihr Sklavendasein freiwillig akzeptiert habe. Nun hatte er zwei Frauen im Haus, die ihm unbedingten Gehorsam zollten – was ihn seiner Logik zufolge darin bestätigte, dass Frauen in Wirklichkeit nur beherrscht werden
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