Wer hat Angst vorm bösen Mann?
und Bewunderung macht sie zu Meistern der Massenverführung. Dabei sind sie gleichzeitig zungenfertige Geschichtenerzähler, eindringliche Prediger, extrovertierte Showmaster, charismatische Politiker und feinfühlige Hobbypsychologen.
Obwohl sie meistens weniger an ihre eigenen magischen Kräfte glauben als ihre Anhänger, halten sie sich dennoch für omnipotent. In ihrer Megalomanie, ihrem Größenwahn, wollen sie nichts weniger als die Weltherrschaft – so wie die Bösewichte in
James-Bond
- oder
Batman
-Filmen. Sie glauben an keinen Gott außer an sich. In der «Kinder Gottes»-Sekte war es zum Beispiel üblich, dass Mütter ihren Kindern jede Nacht erzählen mussten, dass sie den Anführer Moses David mehr liebten als ihre eigenen Töchter und Söhne.
Die modernen Rattenfänger haben aber oft auch deutlich antisoziale Züge. Moralische Regeln gelten für sie nicht, obwohl sie ihren Anhängern einen strengen Verhaltenskodex auflegen. Bemerkenswert ist, dass die meisten Erleuchteten für sich persönlich gar nicht den göttlichen Frieden in der Askese gefunden haben, den sie ihren Verehrern gebetsmühlenartig versprechen, sondern sich eher auf weltliche Genüsse wie versessenes Geldscheffeln, ausgiebige Mahlzeiten und reichlich Sex mit jungen Frauen verlassen, um ihr gieriges Belohnungssystem anzukurbeln. Wenn sie ihre selbst aufgestellten Gesetze umgehen, haben sie vielfach eine gute Ausrede parat, beispielweise: «Ich weiß, meine Zeit auf Erden ist kurz, daher muss ich sie voll ausleben.» Vom Ehebruch über Vielweiberei und Vergewaltigung bis hin zu Kindesmissbrauch oder erzwungener Prostitution werden immer wieder alle Perversionen aus den Sekten berichtet.
In Waco, Texas, starben 1993 sechsundachtzig Menschen bei der Erstürmung der Davidianer-Sektenkolonie nach einundfünfzigtägiger Belagerung durch das FBI . Der Führer der Polygamistensekte, Vernon Howell – er nannte sich David Koresh –, hatte in der Kolonie fünfzehn Kinder gezeugt, teilweise mit zwölf Jahre alten Mädchen.
In Chile errichtete 1961 der deutsche Paul Schäfer, der 2010 starb, die «Colonia Dignidad», eine abgeschottete deutsche Siedlung rund 350 Kilometer von Santiago de Chile entfernt, in der er seine homosexuelle Pädophilie ausleben konnte. Es gab Berichte, nach denen Kinder ihren Eltern weggenommen, in der Kolonie gegen ihren Willen festgehalten, missbraucht, mit Elektroschocks gequält und umgebracht wurden.
Das Gruppengefühl in ihrer Sekte bauschen die Rattenfänger durch eine «Wir-gegen-die-anderen»-Mentalität künstlich auf, indem sie einen Sündenbock aufbauen: die Regierung, Satan, die Eltern, die konventionellen Kirchen oder die Kommunisten. Durch die Errichtung einer Kolonie fernab von der Zivilisation erzwingen sie die Isolation der Gruppe, damit der Führer die Legitimation hat, die Gruppe gegen ein vorgeblich feindliches Umfeld zu verteidigen.
Studiert man die Lebensgeschichten der Pseudo-Heilande, so findet man verdächtig oft zerrüttete Familienverhältnisse mit physischer und sexueller Gewalt, Konflikte mit dem Gesetz oder eine Alkohol- und Drogensucht der Eltern. Nicht selten sind Berichte über Schul- und Verhaltensprobleme, ein Hang zur Kriminalität wird häufig attestiert, ausgeprägt sind Stehlen, Lügen, Brandstiftung oder Tierquälerei in der Kindheit und Jugend – alles frühe Anzeichen einer antisozialen Persönlichkeit. Auch im weiteren Verlauf konnten die späteren «Scheinheiligen» meist keinen strukturierten Lebensplan für sich entwickeln. Häufig wechselten sie den Beruf: Türsteher, Autohändler, Rocksänger, Prediger oder Versicherungsvertreter – bis sie schließlich ihren Weg zu höchster Bewunderung und unendlichem Reichtum machten.
Aber warum gehen immer wieder Menschen den falschen Heilanden auf den Leim?
Vom Kult zur Religion
Zu allen Zeiten haben Menschen an höhere Wesen geglaubt. Dies muss nicht ein Gott sein, der im Himmel wohnt, sondern kann auch ein Mensch gewesen sein, der vor Jahrhunderten auf Erden wandelte, wie Siddhartha Gautama (Buddha), Mohammed oder Jesus. Es gibt keine Kultur, in der nicht ein gewisser Prozentsatz der Menschen religiös ist. Wir reden hier nicht von Personen, die in die Kirche gehen, weil sie denken, dass es zum guten Ton gehört, oder gar weil sie meinen, dass Gott es von ihnen erwartet, obwohl sie eigentlich keine Lust dazu haben. Es geht hier um Menschen, die tief im Innersten ihres Herzens gläubig sind.
Nichts spricht
Weitere Kostenlose Bücher