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Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann

Titel: Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Thoma
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Doch anstatt wenigstens dieses Mal souverän zu reagieren oder darüber hinwegzugehen, setzte ich nach: »Also, ich meine natürlich die Vögel, die Tiere …«
    »Klar … ähm … Am besten schicke ich dir meine Adresse gleich per SMS«, sagte Jesco, bevor ich das Telefonat rasch beendete und am liebsten im Erdboden versunken wäre.
    Unter »Natur« habe ich mir was anderes vorgestellt, dachte ich, als ich am nächsten Tag mit dem Fahrrad auf dem Areal eines ehemaligen Containerbahnhofs an verwaisten und he runtergekommenen Lagerhallen vorbei über Brachflächen fuhr. Jesco hatte mich in das letzte Niemandsland der Innenstadt nördlich des Hauptbahnhofs gelotst, in dem in einigen Jahren das Großbauprojekt Europacity entstehen sollte.
    Mit der Adresse, die er mir geschickt hatte, war selbst das Navigationssystem meines Handys überfordert. So musste ich eine Weile suchen, bis ich in einem entlegenen Winkel des Geländes ein Haus entdeckte, vor dem zwei Autos parkten.
    Als ich mein Fahrrad abstellte und mein Sommerkleid unter meiner Parkaweste zurechtzupfte, bekam ich auf einmal Angst vor der eigenen Courage. Ich kannte Jesco kaum und konnte nicht einschätzen, was mich erwartete. Um mich noch nicht in die Höhle des Löwen wagen zu müssen, rief ich Cosima an, die auf meine Kinder aufpasste – falls nötig auch bis morgen früh.
    »Den Kindern geht es gut, Phyllis – und jetzt kneif bloß nicht in letzter Sekunde!«, rief Cosima noch vor einem »Hallo« ins Telefon. Dann legte sie einfach wieder auf.
    Ich ärgerte mich darüber, vor langer Zeit mit dem Rauchen aufgehört zu haben, denn eine Zigarette hätte mich in diesem Moment beruhigt. Von irgendwoher vernahm ich jetzt leise Musik. Ich ging zur Haustür, doch die war verschlossen. Da ich keine Klingel fand, spähte ich durch ein Fenster. Überall standen Werkstattbänke und Frästische, und an den Wänden lehnten Bilderrahmen. Von Jesco war jedoch keine Spur.
    Mir wurde klar, dass die Musik hinter dem Haus herkommen musste, und ich folgte den Klängen. Auf der Rückseite des Hauses hielt ich inne: Vor mir tat sich ein großer Garten auf, der sich bis zum Spreeufer erstreckte und dessen Bepflanzung üppig und wild in alle Richtungen wucherte. Jesco hatte recht – das konnte man in der Tat als Natur bezeichnen.
    Mitten auf der Wiese – mit Blick auf die Spree – standen Sonnenstühle und Liegen unter einem großen Sonnenschirm. Auf einem der Stühle erkannte ich Jesco, der neben zwei Freunden in der Sonne saß und mich mit den Worten »Schön, dass du es geschafft hast« zu sich herüberwinkte.
    Zum Glück sind noch andere da, dachte ich erleichtert, wäh rend Jesco mir seine Freunde vorstellte: Marlene war Galeristin, und Julius arbeitete in einem Kunstauktionshaus. Heimlich musterte ich die beiden. Der Slogan »Express your understatement« passte zu ihnen, da sie mit ihrem puren, minimalistischen Stil ihre Lässigkeit inszenierten und Kleider von kleinen Modelabels trugen, deren Kollektionen niemand ansehen darf, wie viel Geld man dafür blechen muss.
    Jesco reichte mir einen Wodka Gimlet, bot mir einen Liegestuhl an und rückte seine Liege möglichst dicht neben meine. Während Julius in einem Kunstmagazin blätterte, zündete sich Marlene einen Joint an und gab ihn an Jesco weiter. Der bot ihn gentlemanlike zuerst mir an. Ich zögerte. Jahrelang hatte ich nichts mehr geraucht. Kurz und wie zufällig berührte Jesco mein Bein.
    Was soll’s, it’s better in bed, when you’re out of your head , dachte ich, nahm den Joint und zog daran.
    Entspannt lehnte ich mich in meinem Liegestuhl zurück und beobachtete die Boote, die auf der Spree an uns vorbeizogen. Die Wechselwirkung von Joint und Wodka ließ dank der heißen Augustsonne nicht lange auf sich warten und versetzte mich in einen Glücksrausch, der meine Sinne verzerrte. Ich kam mir vor wie in einem authentischen Werbefilm für Berlin-Mitte. Jesco, Marlene und Julius sahen nicht nur aus wie der Prototyp des kunstaffinen, hippen Berliners, sondern unterhielten sich auch über die entsprechenden Themen: Welcher Künstler befand sich in der gestreiften Phase, wer durchlief die gepunktete und wer die karierte?
    Wie durch eine Nebelwand verfolgte ich ihren kunstsachverständigen Diskurs. Dabei amüsierte ich mich darüber, dass in jedem Satz mindestens dreimal der Begriff »Ebene« fiel, dicht gefolgt von dem Wort »Spektrum«.
    Meine Kenntnisse vom aktuellen Kunstmarkt hielten sich zwar in Grenzen, doch

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