Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
leidenschaftlichem Beziehungsanfangs-Sex war das unvereinbar; ich hätte ja schlecht zu Jesco sagen können: »Bleib genauso wie du bist, ich geh mich nur kurz um ein Kind kümmern und bin gleich wieder da.«
Da ich außerdem kein Geld für regelmäßige Babysitterausgaben hatte, traf ich mich mit Jesco fortan an Wochenenden, an denen die Kinder bei Mark waren, und an einigen Werktagen zwischen 14:30 Uhr und 16:00 Uhr, sprich, in den anderthalb Stunden, in denen ich sonst den Haushalt und Administratives erledigte. Die Dates unter der Woche, für die ich meine Wohnung in ein Stundenhotel verwandelte, waren jedoch mit viel Hetzerei verbunden, da ich nach der Fortbildung so schnell wie möglich nach Hause fahren musste, um dort noch schleunigst alle Erotikkiller wie herumliegende Spielsachen oder Zahnpastareste im Waschbecken zu beseitigen, Clooney vorsichtshalber auf dem Balkon festzubinden, sinnliche Musik aufzulegen und mich selbst sexy zurechtzumachen, bevor ich Jesco zehn Minuten später möglichst verführerisch in Empfang nahm.
Problematisch war auch, dass Jesco sich nicht immer an meinen minutiös eingetakteten Zeitplan hielt. Er genoss seine Spontaneität, was ihm beruflich möglich war. So kam es vor, dass er vor unseren Treffen noch eine Extrarunde mit seinem Rennrad drehte oder länger als geplant mit einem Freund in einem Café sitzen blieb, wenn ihm spontan danach zumute war. Wenn er dann viel zu spät bei mir erschien und ich kaum noch Zeit für ihn hatte, bedauerte er das zwar aufrichtig – zu mehr Zuverlässigkeit führte es trotzdem nicht.
Da ich befürchtete, die schönen Momente mit Jesco könnten bald in keinem Verhältnis mehr stehen zu den Anstrengungen, die die zeitlich und logistisch aufwendige Organisation unserer derzeitigen Beziehungsform mit sich brachte, holte ich mir Rat bei der Patchwork-Expertin Anouk ein.
»Gestern hat sich mein Date mit Jesco durch seine Unpünktlichkeit so sehr nach hinten verschoben, dass ich aus Angst, die Kinder nicht rechtzeitig abzuholen, beim Sex unentwegt auf die Uhr geschielt habe«, erzählte ich. »Meinst du, ich sollte doch versuchen, ihn in mein Leben mit den Kindern zu integrieren?«
Anouk, deren Babybauch inzwischen deutlich zu sehen war, riet mir von einer Zusammenführung der Kinder- und der Liebhaberwelt dringend ab.
»Lern aus meinen Fehlern«, sagte sie, »ich hätte mich mit Tim niemals auf eine enge Beziehung einlassen sollen. Das Zusammenleben mit ihm ist ein Albtraum, ich hätte nie gedacht, dass er so ein Spießer ist.«
Entnervt berichtete sie mir, wie penetrant Tim sich neuerdings in die Erziehung ihrer ersten beiden Kinder einmischte und dass er obendrein versuchte, ihr Leben zu ordnen. Feste Essens- und Bettgehzeiten hatte es in Anouks Kosmos bisher weder gegeben noch hatte sie sie vermisst. Und ihre Kinder hatten sich daran gewöhnt, mindestens alle zwei Jahre in eine neue Wohnung zu ziehen, in der es immer nur die allernotwendigsten Möbel gab, dafür aber viel Platz.
Tim hingegen suchte nach Erdung, und Anouks Freiheitsdrang machte ihn nervös. Außerdem war er der Ansicht, dass es ihm jetzt, wo er mit Anouk zusammenlebte, auch zustand, ihre Kinder mit zu erziehen; schließlich beanspruchten sie zwangsläufig auch Tims Zeit und seinen Lebensraum.
»Willst du im Ernst, dass Jesco sich in deinen Alltag einmischt und dir Ratschläge zur Kindererziehung gibt?«, fragte sie mich, nachdem sie genug Dampf abgelassen hatte.
Ratlos hob ich die Schultern.
»Also, ich an deiner Stelle würde es langsam angehen lassen und als erste Innovation dazu übergehen, Jesco abends zu treffen, wenn die Kinder schlafen«, fuhr Anouk fort. »Wenn du kein Geld für einen Babysitter hast, nimmst du dir halt ein Babyphone mit; wozu sonst haben die Dinger eine Reichweite von knapp vierhundert Metern …«
Anouks Worte hallten in meinem Kopf nach, als ich abends im Dunkeln mein Haus verließ und durch den Nieselregen ging: »Dann könnt ihr euch in Parkhäusern oder in Tiefgaragen, Kirchen und Fahrstühlen treffen oder auf Friedhöfen, Bau stellen und Kneipenklos …«
Ich näherte mich dem Eingang einer Bar. Zum schmutzigen Hobby stand in großen Buchstaben über dem Eingang.
Innen war es stickig und brechend voll. Auf einer großen Leinwand wurde ein Fußballländerspiel übertragen, dessen Spielverlauf die 1,90 Meter große, prallbusige Transe Miss Bloody Sunday mit tiefer Stimme und im knappen Lederoutfit moderierte.
An einem Tisch nahe der Bar
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