Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
arbeiten; seit Jahren wollte ich nichts lieber als das. Die schlaflosen Nächte und die noch knappere Zeit für Jesco, mit dem ich mich nach unserer Krise wieder wie gehabt mittags beziehungsweise an meinen kinderfreien Wochenenden traf, nahm ich sofort dafür in Kauf.
Wie geplant trafen sich Mark, die Kinder und ich tags darauf zum Spiel-und-Spaß-Nachmittag in Lorenz’ Schule. Viele Eltern waren schon da, als wir ankamen. Bisher hatte ich die Miteltern und Lorenz’ Lehrerin Frau Müller erst zweimal gesehen: bei der Einschulungsfeier und auf einem Elternabend, der gleich zu Beginn des Schuljahrs stattgefunden hatte. Die meisten anderen hatten sich dagegen schon besser kennengelernt, weil sie sich jeden Morgen, wenn sie ihre Kinder zur Schule brachten, untereinander austauschten. Lorenz hatte mir erzählt, dass er und zwei weitere Kinder die einzigen aus seiner Klasse waren, die nicht mehr von einem Erwachsenen bis zum Schultor beziehungsweise sogar bis zum Klassenzimmer begleitet wurden.
Ich hingegen ließ meinen Sohn die zweite Hälfte seines Schulwegs allein meistern. Den Trend, Kinder auf Schritt und Tritt zu kontrollieren, hielt ich für übertrieben, und dass der eigenverantwortliche Aktionsradius vieler Grundschulkinder inzwischen kleiner war als der eines Staubsaugers, erschien mir absurd. Außerdem war Lorenz stolz darauf, dass ich ihm inzwischen mehr Eigenständigkeit zutraute; und der im Polizei-Humor verfasste Ratgeber zur Bewältigung der Schulweg-Safari mit Drahteseln, Zebrastreifen und Autoschlangen war zu seiner liebsten Gutenachtlektüre geworden.
Unauffällig musterte ich die Prenzelberger Mütter und Väter, die in ihren Hauptsache-bequem-Kleidern ganz anders aussahen als die Cashmere-Fraktion aus Zehlendorf. Eine der unverkennbaren Latte-macchiato-Mütter war nicht dabei, was ich nicht anders erwartet hatte. Deren Kinder besuchten nämlich keine öffentlichen, sondern »staatlich anerkannte Ersatzschulen freier Schulträger«. Die wurden meistens in Eigeninitiative von Müttern gegründet, sprossen wie Pilze aus dem Boden und waren schulgeldpflichtig. Dennoch bezeichneten die Latte-macchiato-Mütter sie aus Schamgründen niemals als Privatschulen – denn eigentlich war dieser Muttertyp (solange es nicht um die eigenen Kinder ging) dagegen, dass die soziale Ungleichheit an Schulen weiter zunahm.
»Ein sympathisches Umfeld hast du für Lorenz ausgesucht«, raunte Mark mir spöttisch zu, der mit seinem maßgeschneiderten Jackett völlig fehl am Platz aussah. Ich ignorierte seine Provokation und erinnerte ihn daran, dass wir uns Lorenz zuliebe zusammenreißen wollten.
Dann trug ich meinen Picknickkorb zum Büfett, das am Rand der Turnhalle aufgebaut war. Weil ich zu Recht davon ausgegangen war, dass Mark über eine kulinarische Picknickbeisteuerung nicht nachdenken würde, hatte ich morgens mehrere Bleche Brownies und Chocolate Chip Cookies in den Ofen geschoben. Aus Erfahrung wusste ich nämlich, dass es immer schlecht ankommt, wenn man als Mutter Backwaren kauft, anstatt sie selbst zu produzieren.
Doch meine Bemühungen, bei den anderen Eltern einen guten Eindruck zu machen, waren umsonst: Neben den Dinkelkeksen, Hirsewaffeln und Bärlauchschnittchen wirkten meine Brownies und Chocolate Chip Cookies mindestens so deplatziert wie Mark und ich neben den Natureltern. Hinzu kam, dass ich mit meinen Pappgeschirr und Plastikbesteck allein auf weiter Flur stand: Alle anderen hatten ihre alltäglichen Utensilien von zu Hause dabei, um keinen unnötigen Müll zu produzieren.
Kurz überlegte ich, ob es besser wäre, wenn ich meine Mitbringsel wieder einpackte und mit nach Hause nahm. Zu spät: Ein Junge entdeckte das Schlaraffenland und schrie aufgeregt: »Es gibt Schokolade!« durch die Turnhalle. Innerhalb von wenigen Sekunden stürzten sich alle Kinder auf die Süßwaren. Die anderen Eltern beäugten das mit einer Mischung aus Besorgnis und Aversion, und manche rissen ihren Kindern das Süßzeug sogar wieder aus der Hand. Wobei ich beobachtete, wie der eine oder andere Elternteil dabei seine Selbstbeherrschung verlor und sich das süße Gebäck, das er seinem Kind weggenommen hatte, anschließend selbst klammheimlich in den Mund schob.
Schließlich ergriff Lorenz’ Lehrerin Frau Müller das Wort und wies uns auf zwei Neuerungen im Schulleben hin: den Schaftag, an dem regelmäßig drei Schafe von der Jugendfarm Moritzhof in den ökologischen Garten der Schule gebracht und von Schülern betreut
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