Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
recht. Ich bin viel zu pünktlich. Kommt nicht wieder vor«, entgegnete Jesco und setzte sich neben mich.
Sein Versuch, meinen Ärger vom Tisch zu kehren, verunsicherte mich wieder.
»Hast du dein Handy verloren und meine Entschuldigung nicht gelesen?«
Ich biss mir auf die Zunge. Wie verpeilt war ich eigentlich? Gerade erst hatte ich mich doch per SMS mit ihm verabredet. Oder hatte er sich in der Zwischenzeit vielleicht ein neues Handy besorgt?
»Doch, hab ich, danke«, antwortete Jesco.
Ich schämte mich für meine unrealistische Spekulation. Natürlich hatte es keinen Handyverlust gegeben.
»Ich wollte mich auch eher bei dir melden, aber dann war so viel los in der Werkstatt, weil zwei Schreiner krank waren …«
»Es gibt doch diesen Spruch«, unterbrach ich Jesco: »›Belogen zu werden gehört zum Privileg der Ehefrau.‹ Außerdem finde ich es dreist, dass du dich ausgerechnet vor mir mit dem Stichwort Multitasking herausredest.«
»Okay, okay, du hast ja recht. Ich brauchte Abstand. Und dafür will ich mich nicht rechtfertigen müssen.«
»Das brauchst du auch nicht, aber du hättest Bescheid sagen können. Ich hab mir nämlich Sorgen gemacht.«
Jesco verstand das nicht. Wir waren doch erwachsene Menschen, und ich müsste mich nicht für ihn verantwortlich fühlen. Außerdem empfand er sein Nichtmelden als eine Form von Bescheidsagen.
In meinem Kopf rasten die Gedanken. War die Unverbindlichkeit der Preis für eine Beziehung, in der es nicht um Häuslebauen ging, und hatte ich mir nicht genau das gewünscht? Andererseits kannte ich mich gut genug, um zu wissen, dass ich Nähe-Distanz-Spielchen nicht lange aushalten würde. Ich war doch kein Jo-Jo, das Jesco nach Belieben fallen lassen und wieder hochmanövrieren konnte.
»Das ist übrigens für dich.«
Jesco legte ein verpacktes Geschenk vor mich auf den Tisch.
Mir war aber nicht danach, beschenkt zu werden. Ich schob das Geschenk weg, legte ein paar Euro für meinen Kaffee auf den Tisch, sagte: »Sorry, aber vielleicht bin ich nicht cool genug, jedenfalls kann ich das so nicht«, und ging.
Verdutzt – damit hatte er nicht gerechnet – rannte Jesco mir auf die Straße hinterher.
»Phyllis, warte!«
Ich blieb stehen. Jesco reichte mir wieder das Geschenk und sagte: »Pack’s doch wenigstens aus.«
Wortlos öffnete ich das Papier: Er hatte einen kleinen Bilderrahmen für mich geschreinert, und in die Rückseite unsere Namen nebeneinander in chinesischen Schriftzeichen eingebrannt. In dem Rahmen steckte ein Foto von uns, das er während der sorglosen Sommerwochen gemacht hatte.
Mein Ärger über ihn ebbte schlagartig ab.
»Danke.«
Es erleichterte mich, dass Jesco in seiner Abtauchphase offenbar doch oft an mich gedacht hatte. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die sich für die Auseinandersetzung mit Prob lemen so lange ins sichere Terrain ihrer eigenen Gedankenwelt zurückzogen, bis sie im Alleingang zu einer Lösung gekommen waren? Unsinn, rief ich mich zur Vernunft, interpretier in sein Problemaussitzen bloß nichts hinein. Männer gaben schließlich sogar selbst zu, dass sie sich Konfrontationen am liebsten entziehen, um sie dann einfach zu vergessen. Frauen müssten das nur glauben, auch wenn sie es nicht nachvollziehen können. Letztendlich war es aber auch egal: Das Ergebnis war das, was zählte. Und das war ein Bilderrahmen, der einer Liebeserklärung gleichkam.
Ich sah auf die Uhr.
»Du musst gleich zu den Kindern, stimmt’s?«
Ich nickte. Da ich mit der S-Bahn nach Charlottenburg gekommen war, bot Jesco mir an, mich nach Hause zu fahren.
»Mein Auto steht zwei Straßen weiter in einem Parkhaus.«
Weil er in den unteren Parkebenen keinen Platz gefunden hatte, mussten wir in die sechste Etage. Arm in Arm gingen wir eng umschlungen über die Rampen nach oben. Um vor dem Anwalt einen seriösen Eindruck zu machen, hatte ich mir ein Kostüm und Stiefel angezogen, deren Absätze laut auf dem Betonboden klackten und in einem Echo nachhallten.
Jesco strich mit seiner Hand über meinen Rücken und meinen Po. Dann zog er meinen Rock ein Stück höher, und meine Lust auf ihn, die ich tagelang mühsam unterdrückt hatte, überflutete mich. Ich blieb stehen und flüsterte ihm meine Sehnsucht ins Ohr.
Jesco zog mich in die hinterste Ecke von Parkdeck vier, schob meinen Rock ganz hoch und setzte mich auf die Motorhaube einer Renault-Kangoo-Familienkutsche, von der bestimmt keine Alarmanlage losgehen würde. Kurz vergewisserte ich
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