Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
Fahrt ins Berghain – ein bekannter Technoclub – schwärmte Jesco von seinem Wochenende in Venedig.
»Es hätte dir auch gefallen«, sagte er. »Mein Mitbringsel kriegst du später zum Geburtstag.«
Vor uns sprang die Ampel auf Rot. Jesco hielt an, lehnte sich zu mir und küsste mich.
Ich war gespannt, was Jesco mir schenken würde. Mark, der sich von jeher rein prophylaktisch als hilfloser Schenker bezeichnet hatte, war es selten gelungen, mir eine richtige Freude zu machen. So beglückte er mich am Anfang unserer Beziehung immer wieder mit Spitzendessous, die mir nie passten: Die Slips waren jedes Mal zu klein und die BHs viel zu groß. An wen er damals beim Kauf der Wäsche dachte, hatte ich nie herausgefunden; ich konnte es jedenfalls nicht gewesen sein. Wobei ich Mark zugutehielt, dass er wenigstens nicht so weit gegangen war wie der Freund einer ehemaligen Kommilitonin. Der schenkte ihr, nachdem sie ihr Kind abgestillt hatte und ihre Brüste geschrumpft waren, einen XXL-BH als Wink mit dem Zaunpfahl dafür, dass er nichts gegen Brustimplantate einzuwenden hatte.
Mit den Jahren wurden Marks Geschenke noch unbedachter, sofern das überhaupt möglich war: Zuletzt überreichte er mir einen Schuhputzkasten (dass er aus Kirschholz war, machte die Sache nicht besser), Kniestrümpfe (mit dem sachdienlichen Hinweis, die könnte man immer gebrauchen) und das Buch Hilfe, das Wasser brennt mit rettenden Küchentipps von A bis Z.
Jesco parkte sein Auto auf dem Gelände des alten Ostbahnhofs. Vor uns ragte der Berghain -Club in die Höhe – er befand sich auf mehreren Stockwerken in einem ehemaligen Heizkraftwerk. Als ich das letzte Mal im Berghain war, hatte ich noch keine Kinder. Mark und ich waren im Morgengrauen hier gestrandet, nachdem wir eine Nacht durchgefeiert hatten. Ich erinnerte mich daran, wie voll es in dem Club selbst dann noch gewesen war, als draußen längst die Sonne am Himmel stand.
Die Streicher hatten schon angefangen zu spielen, als wir an einer Wandgrafik aus Aluminiumplatten vorbei über eine Stahltreppe in den ersten Stock zum Dancefloor gingen. Nachdem wir uns Bier geholt hatten, zwängten wir uns durch die Menschenmengen zu einer anderen Treppe, von deren Stufen aus wir die drei Violinspieler und den Cellisten, die auf einer Empore spielten, besser sehen konnten.
Die Musik war ergreifend schön und füllte den zwanzig Meter hohen Raum aus. Ich sah mich um: Überall standen Leute dicht aneinandergedrängt. Trotzdem herrschte andächtige Stille. Jesco legte seinen Arm um mich, und ich spürte, wie ihn die Musik ebenso berührte wie mich.
Nach dem Konzert legte ein DJ weitere klassische Stücke auf, und die Stimmung lockerte sich.
»Manchmal habe ich Angst, dass ich zu wenige Momente wie jetzt gerade erlebe«, sagte ich und erzählte Jesco von Cosimas Statistiken, die im Nachklang doch noch eine Midlife-Panik in mir ausgelöst hatten.
»Das kenne ich«, antwortete Jesco. »Aber überleg mal: Die Erde ist über vier Milliarden Jahre alt, und das Universum sogar dreizehn Milliarden Jahre. Die hätten Grund, sich aufzuregen, wir nicht.«
Jesco sah auf die Uhr – es war kurz nach Mitternacht.
» Happy birthday , Phyl«, sagte er, nahm mich in den Arm und küsste mich. Dann gab er mir das angekündigte Geschenk, und ich packte eine geflochtene Lederkette aus, für die er drei silberne Anhänger hatte anfertigen lassen: ein Peace-Zeichen, ein Herz und einen Skorpion – mein Sternzeichen. Ich freute mich und zog die Kette gleich an; sie gefiel mir sehr.
Mein Handy summte, und das Display zeigte mir zwei SMS an: Die erste war von Natalia, die mir fünf Gratisstunden Kinderhüten zum Geburtstag schenkte, welche ich gleich heute Abend einlösen könnte.
Die zweite SMS kam erstaunlicherweise von meiner Mutter, die mir statt Gratulationswünschen den Spruch schickte: »Das Alter ist egal, außer du bist ein Käse.«
Auf dem Rückweg zum Prenzelberg bat ich Jesco, am Helmholtzplatz zu halten. Dexter hatte mir wegen der architektonischen Planungen einen Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben, von der aus ich mit Jesco aufs Dach stieg. Trotz der November kälte waren wir nicht die Einzigen, die es hierhergezogen hatte. Einige Dächer weiter saßen einige Twens in dicke Jacken gehüllt und tranken Bier, und auf dem gegenüberliegenden Haus hatte sich ein Liebespaar sogar ein Lagerfeuer angezündet.
Jesco und ich setzten uns auf einen Schornstein. Er drehte uns einen Joint, reichte ihn mir und
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