Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
würden, und die einmal wöchentlich stattfindende Tanzpause, die den Schülern und Lehrern die Möglichkeit böte, sich gemeinsam der Musik hinzugeben.
Anschließend nahm der Nachmittag seinen Lauf. Ein Programm gab es nicht, da Frau Müller der Ungezwungenheit des Treffens und der Kreativität unserer Gruppe, die sie als lebenden Organismus bezeichnete, möglichst viel Raum geben wollte.
Mark – dem ins Gesicht geschrieben stand, wie unerträglich er alles und jeden fand – ging den anderen Eltern konsequent aus dem Weg, indem er mit Lorenz, Maya, Fanny und anderen Kindern in der hintersten Ecke der Halle Fußball spielte. Sein Jackett behielt er dabei demonstrativ an.
Währenddessen suchte ich den Kontakt zu meinen Elternkollegen; ich unterhielt mich mit einem Reiki-Praktizierenden, der sich als Kanal für die universelle Lebensenergie verstand, einem Entomologen, der eine Imkerei betrieb, einer Hebamme, die sich auf Hausgeburten spezialisiert hatte, einer Lehrerin für Qigong und Tai-Chi und mit einer Inhaberin eines Secondhandladens für Kindersachen.
Dabei erfuhr ich, dass mehr als die Hälfte der Mütter aus Lorenz’ Klasse alleinerziehend war und einige von ihnen keinen Kontakt mehr zu dem Vater ihres beziehungsweise ihrer Kinder hatten. Die Qigong- und Tai-Chi-Lehrerin erzähl te mir sogar frei heraus, dass sie lesbisch sei und den Erzeuger ihres Sohnes über eine Amsterdamer Samenbank gefunden hatte.
Im Verlauf der Gespräche wurde mir außerdem klar, dass die Projektionen meiner neuen Miteltern auf ihre Kinder ganz andere waren als die der Zehlendorfer: Waren Letztere davon überzeugt, kleine Einsteins in die Welt gesetzt zu haben, die nach Tiger-Mother -Manier gefördert werden mussten, glaubten die Eltern hier durch die Bank an ihre Indigo-Kinder. Als Anhänger dieses esoterischen Glaubens schrieben sie ihrem Nachwuchs herausragende psychische und spirituelle Fähigkeiten zu sowie das Wissen um ihre Erhabenheit. Und weil Indigo-Kinder prinzipiell auf Disziplinierungsversuche nicht reagieren, weil sie keine Autoritäten akzeptieren, versuchten die Eltern erst gar nicht, Grenzen zu setzen.
Vor einigen Wochen hatte ich auch bei anderer Gelegenheit erlebt, dass dem Willen der unantastbaren Kinder selbst dann nachgegeben wurde, wenn es auf Kosten anderer ging: An einem Sonntagmorgen um zehn Uhr hatte ich mich mit Anja und ihrer dreijährigen Tochter Lola, die mit Maya und Fanny in die Kita ging, auf einem Bauernhof verabredet, wo man selbst Erdbeeren pflücken konnte. Auf Anjas ausdrücklichen Wunsch sollte es unbedingt ein ganz spezieller Hof sein, zu dem man etwa eine Stunde fahren musste. Außerdem legte Anja Wert auf ein möglichst frühzeitiges Treffen, damit sie den Tag an der frischen Luft auskosten konnte.
Nachdem ich mir den Wecker früh gestellt, die Kinder eilig angezogen hatte und anschließend eine Stunde zu dem Bauernhof gefahren war, kamen wir pünktlich dort an. Zehn Minuten später klingelte mein Handy und Anja ließ mich bedauernd wissen, sie und Lola würden leider doch nicht kommen. Ich vermutete, dass eine von ihnen krank geworden war. Doch damit lag ich falsch.
»Ich habe Lola heute Morgen dreimal gefragt«, erklärte mir Anja, »aber sie möchte wirklich nicht auf den Bauernhof, sondern viel lieber auf den Spielplatz. Und ich möchte sie nicht zu etwas zwingen, wozu sie keine Lust hat.«
Ich war sauer, doch offenbar hatte Lola das Sagen. Auch später erlebte ich nur ein einziges Mal, dass Anja ihrer Tochter einen Wunsch ausschlug, und zwar als Lola unbedingt ein rosafarbenes Lillifee-T-Shirt haben wollte. Da konnte sie schreien, so viel sie wollte; Kleider in geschlechterspezifischen Farben und mit Prinzessinnenmotiv kamen für Anja definitiv nicht infrage.
Gegen Abend verließen Mark, die Kinder und ich die Turnhalle. Kaum hatte Mark Lorenz und die Zwillinge ins Auto gesetzt, zog er mich zur Seite und ließ seinem über den Nachmittag angestauten Unmut freien Lauf.
»Ich lasse nicht zu, dass meine Kinder unter Eso-Fuzzis aufwachsen, die durch karmische Reinkarnationstherapien herausfinden wollen, warum sie in den letzten vier Jahren dreimal ihre mies bezahlten Jobs verloren haben, und mit deren Kindern Lorenz höchstens Schafe streicheln lernt. Entweder du sorgst für eine vernünftige Ausbildung, oder ich sorge dafür, dass die Kinder bei Franziska und mir aufwachsen!«
Er knallte die Autotür hinter sich zu und brauste los. Wütend nahm ich mein Handy aus der Tasche,
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