Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
nahm mich in den Arm. Schweigend genossen wir die irreal anmutende Stimmung, die uns umgab. Jetzt war ich wirklich am Prenzlauer Berg angekommen: Ich konnte mich wieder richtig jung fühlen, obwohl ich es nicht mehr war.
Da Mark und ich Wochenenden getauscht hatten, waren die Kinder am folgenden Samstag wieder bei ihm, und ich lud ein paar Freunde zu einer nachträglichen Geburtstagsfeier ein.
Neben Jesco, der schon am Nachmittag kam, erwartete ich noch Sven, Cosima und Anouk plus ihre Männer sowie Charity-Claire, die zum Glück ohne Klaus-Dieter kommen wollte, der geschäftlich unterwegs war.
Dexter, den ich auch eingeladen hatte, sagte leider ab, da er keinen Sitter für seine Kinder gefunden hatte.
Claire kam zuerst und gratulierte mir mit pinkfarbenen Edelpfingstrosen nachträglich zum Geburtstag. Dann zwinkerte sie Jesco zu und bat ihn, ihr als Gegenleistung für ihre erfolgreiche Kuppelei zwanzig Prozent Rabatt auf die nächsten fünf Bilderrahmen zu geben, was er gern für sie tat.
Kurz darauf klingelten Cosima und ihr Mann Matthias an der Tür.
»Alles Gute zum Geburtstag, Phyllis«, sagte Matthias, umarmte mich und überreichte mir eine Flasche Schampus. Matthias war nicht sehr groß, doch sein breites Kreuz und die dunkle Stimme verliehen ihm eine männliche Ausstrahlung. Vom Wesen her war er ruhig und ausgeglichen, und ich kannte kaum jemanden, der anderen Menschen mit so viel ungeheucheltem Interesse gegenübertrat wie er.
»Leider kann ich nicht lang bleiben«, fuhr er fort.
Die Selbsthilfegruppe, die er als Gastroenterologe für Patien ten mit chronischen Darmerkrankungen ehrenamtlich leitete, traf sich in letzter Zeit nämlich regelmäßiger als sonst, und aus gerechnet an diesem Abend war es wieder so weit.
Anouk, die ein enges Wickelkleid über ihren Babybauch trug, kam zusammen mit einem Mann, den ich für ihren Freund Tim hielt, und schenkte mir ein Ylang-Ylang-Massageöl mit aphrodisierender Wirkung. Ihren großen, etwas schlaksigen Begleiter stellte sie mir allerdings nicht als Tim vor, sondern als Tom.
»Tim passt zu Hause auf die Kinder auf«, sagte Anouk. »Zu irgendwas muss das Zusammenleben mit einem Mann ja gut sein.«
Tom, der als Dokumentarfilmer arbeitete und mit der raumgreifenden Retro-Nerdbrille und dem Seebär-Wollpulli auch so aussah, entpuppte sich als der Vater von Anouks erstem Kind und war mir auf Anhieb sympathisch.
»Tim und Tom – das ist ja praktisch«, kommentierte ich die Namensähnlichkeit der Männer in Anouks Leben. »Wie heißt denn der dritte Vater im Bund?
»Eigentlich Jan«, sagte Anouk. »Aber meine Söhne haben ihn in ›Tam‹ umgetauft, damit es wie eine Trilogie klingt: Tim-Tam-Tom. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kinder.«
Gemeinsam gingen wir in die Wohnküche zu Jesco und Claire. Cosima und Anouk konnten es kaum erwarten, Jesco persönlich kennenzulernen, und ihre Neugierde stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Sven kam zuletzt. Neben seinem Geschenk, einer Kiste Rotwein, brachte er auch einen Überraschungsgast mit: Julia, Mitte zwanzig, studierte Kommunikationsdesign an der Universität der Künste und sah umwerfend gut aus. Ich stellte fest, dass auch Sven, dem ich in der Kita länger nicht über den Weg gelaufen war, viel attraktiver wirkte als noch vor wenigen Wochen, da er deutlich abgespeckt hatte.
»Trainierst du neuerdings?«, fragte ich ihn und fühlte spaßeshalber seinen Bizeps.
»Und wie: Powerplate-, Hantel- und EMS-Muskelstimulierungsprogramme und dazu Anti-Kohlenhydrat-, Trennkost- und Enzymdiäten – ich hab alles durch.«
Wie typisch, dachte ich und rekapitulierte die Phasen, die Sven seit seiner Trennung von Inka durchlaufen hatte:
In Phase eins paarte sich Svens Trennungsschmerz mit dem Frust über die Erkenntnis, dass sein Marktwert bei Frauen über die Jahre gesunken war; seine Wunden ließ er sich in Phase zwei von der unscheinbaren Bekannten mit Helfersyndrom lecken, mit der ich ihn auf dem Spielplatz getroffen hatte; nachdem er sie, wie abzusehen war, wieder verlassen hatte, stählte er in Phase drei seinen Körper so lange, bis er wieder konkurrenzfähig war und es ihm in Phase vier gelang, eine junge A-Liga-Frau aufzureißen. Abzuwarten blieb, ob er in der letzten Phase stecken bleiben und sich bald seine ersten grauen Haare überfärben würde, oder ob sein Versuch, die Jugend nochmals zu erleben, an der Erschöpfung daran scheitern würde.
Im Lauf des Abends fiel mir auf, dass sich Cosima
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