Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
mit mir aussprechen. Stattdessen überrumpelte sie mich mit der Frage, was wir Weihnachten vorhatten.
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete ich und ärgerte mich schon wieder über sie. Es war so typisch für sie, nur dann aufzutauchen, wenn sie Angst davor hatte, an familiären Feiertagen einsam zu sein.
»Wenn du nicht möchtest, dass ich mit euch feiere, sag es mir bitte direkt«, fuhr mich meine Mutter an.
Um mich nicht mitten im Opernfoyer in ein Streitgespräch zu verstricken, bat ich sie, unser Telefonat zu verschieben.
Das interpretierte meine Mutter wiederum als schale Ausrede und fragte, warum ich dann überhaupt abgenommen hatte.
»Weil ich dachte, es wäre mein Anwalt und sehr wichtig.«
»Ach so! Und ich bin nur wichtig, wenn ich dir zwölftausend Euro leihen darf?«
Die Türen zum Saal wurden geöffnet. Ich machte Jesco ein Zeichen, dass er mit den Kindern schon vorgehen sollte. Dann verdeckte ich das Handymikrofon mit meinem Schal und fingierte eine zusammengebrochene Leitung, indem ich ein paar Mal »Hallo … bist du noch dran … ich hör dich nicht mehr …« sagte, bevor ich auflegte.
Als ich mich kurz darauf neben Jesco in den Sessel sinken ließ, atmete ich erleichtert und dankbar auf, die nächste Stunde in Hänsel und Gretels Märchenwelt abtauchen zu können.
Nach der Vorstellung wurden die Kinder auf die Bühne gebeten, wo sie die Sänger mit Fragen löchern durften. Jesco und ich blieben sitzen. Ich berichtete ihm von dem Telefonat mit meiner Mutter und fragte ihn nach seinen Weihnachtsplänen.
»Ich hab’s nicht so mit Weihnachten und würde am liebsten ans Meer fahren oder in die Wüste«, erklärte er mir und fragte, ob die Kinder und ich Lust hätten mitzukommen.
»Lust schon, aber für die Kinder kommt das nicht infrage«, antwortete ich. »Sie fiebern ihrem Tannenbaum jetzt schon entgegen.«
»Können wir den nicht in die Wüste verpflanzen?«
»Doch klar, und eine Schneekanone nehmen wir auch mit – allein die vier Flüge könnte ich mir schon gar nicht leisten.«
»Dann fahren wir halt mit dem Auto nach Süditalien und hängen den Christstern an einen Olivenbaum.«
»Das geht auch nicht. Die Kinder wollen ein klassisches Weihnachtsfest. Sie lieben altbekannte Rituale, die geben ihnen Halt.«
»Bist du dir sicher, dass deine Kinder das genauso sehen?«, entgegnete Jesco und erzählte mir, wie seine Eltern früher darauf bedacht waren, seiner Schwester und ihm Traditionen überzustülpen, die ihn kein Stück interessierten.
»Wenn ich mit glasigen Augen unterm Weihnachtsbaum gestanden habe, war’s jedenfalls nicht wegen der besinnlichen Stimmung, sondern nur wegen der Geschenke.«
Ich ging in mich und fragte mich, ob Jesco vielleicht recht hatte. Der Zauber der Adventszeit stand zwar außer Frage. Auch steckte mich die Begeisterung der Kinder für Adventskalender, Plätzchen backen, Nikolausfeiern und gemütliche Adventsstunden derart an, dass ich mich jetzt schon darauf freute, das alles bald wieder für sie vorzubereiten. Wobei ich das Zelebrieren der Adventszeit bei Weitem nicht so übertrieb wie andere. Claire beispielsweise begann jedes Jahr schon nach den Sommerferien sich erstens über das Farbkonzept ihres Adventskranzes Gedanken zu ma chen, der so groß wie ein Lkw-Autoreifen von der Decke hing; zweitens die Geschenke, die sie schon in der ersten Jahreshälfte gekauft hatte, aufwendig und in den aktuellen Trend farben zu verpacken; drittens sich für die zur Adventszeit geballt stattfindenden Charity-Veranstaltungen jeweils ein neues Abendkleid zu kaufen; und viertens ein Hochglanzfoto ihrer Kinder als Weihnachtsgrußkarten drucken zu lassen, dessen Auswahl sie wie ein Fulltimejob beschäftigte. Dabei entschied sie sich immer für ein Bild, auf dem ihre braun gebrannten Kinder an sonnigen, exklusiven Ferienorten strahlten, und kommunizierte damit zwei Dinge auf einen Schlag: Zum einen, unsere Familie ist glücklich, zum anderen, finanziell läuft’s auch super.
Die Heiligabende meiner Vergangenheit hingegen waren, wenn ich ehrlich zu mir war, nur dann schön, wenn sie mindestens fünfzehn Jahre zurücklagen und ich mich mit nostalgischer Verklärung an sie erinnerte. Dachte ich an das letzte Weihnachtsfest, grauste es mich noch immer: Lorenz heulte herum, da statt seiner gewünschten Lego Super Hero Collection die Lego Hero Factory Collection unterm Baum lag. Mark, dessen familiärer Background es verlangte, den Tannenbaum mit echten Kerzen zu
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