Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
Beziehung anders ablaufen würde als seine bisherigen, und warum ich b) die Polung meines inneren Kompasses nicht mal hinterfragt hatte.
In Punkt a) hätte ich Hella jedoch widersprochen. Jescos und meine Beziehung war wirklich anders verlaufen als seine vorherigen. Er hatte mich nicht nach zwei Jahren verlassen, sondern nach viereinhalb Monaten.
Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken.
»Cosima«, rief ich erleichtert und skizzierte ihr, was geschehen war.
Eine halbe Stunde später trafen wir uns in ihrer Wohnung.
»Du siehst besser aus, als ich dachte.«
Cosima nahm mich in den Arm.
»Danke, aber mir geht’s echt beschissen, ich hatte vergessen, wie weh das tut.«
»Ist doch klar. Deine letzte Trennung liegt ja schon über ein halbes Jahr zurück.«
Meine Stimmung hellte sich kurz auf. Wenn es etwas gab, das mir in jeder Lebenssituation half, war es Cosimas Humor.
»Erinnerst du dich noch an den Uni-Dozenten, der mich vor fünfzehn Jahren abgesägt hat?«, fuhr sie fort.
»Meinst du den, der gesagt hat, du hättest jemand Besseren verdient als ihn?
Cosima nickte. »Damals hast du mir geraten, nicht zurückzublicken, sondern konsequent die bewährten Exlover-Verdrängungsmechanismen zu befolgen, die da waren: Erstens: Frage dich nie, warum ein Mann dich nicht will, denn Spekulationen führen zu nichts. Kennst du den Grund, nimm ihn hin und versuche bloß nicht, um einen Ex zu kämpfen, oder anders ausgedrückt, um ihn zu betteln; zweitens: Verbiete dir die bildliche Vorstellung deines Exlovers mit einer anderen Frau im Bett. Rede dir stattdessen ein, er sei gleich nach der Beziehung mit dir impotent geworden und hätte nie wieder eine Freundin gefunden; drittens: Meide die Orte, an denen du deinem Ex begegnen und hinsichtlich Punkt zwei eines Besseren belehrt werden könntest. Halte dich so lang daran, bis du dem nächsten Mann verfallen bist.«
Mir fiel der Zettel ein, auf den ich nach der endgültigen Trennung von Mark »radikale Akzeptanz« geschrieben hatte. Cosima hatte recht: Es war an der Zeit, ihn wieder aus der Schublade zu kramen.
»Außerdem«, sagte meine Freundin und zog einen Umschlag aus der Tasche, »hast du mir damals einen Brief geschrieben.«
Sie reichte mir einen Briefbogen, und ich begann zu lesen:
Liebe Cosima,
die Liebeskrankheit – morbus ex amore – ist eine mephistophelische Zivilisations-, Autoimmun- und Suchterkrankung. Sie verändert den Charakter der Patienten und kann im Extremfall zu psychosomatischen, multiplen Dysfunktionen ihrer inneren Organe führen oder suizidal tödlich enden. Nach einem Überleben der Krankheit liegt die Rezidivquote bei neunundneunzig Prozent.
Morbus ex amore beginnt mit einer hormonellen Fehlleitung, die zu einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis von zwei Patienten führt. Der Volksmund romantisiert das Anfangsstadium mit dem Begriff »glücklich verliebt«. Zu den diagnostischen Merkmalen des Zustands zählen: stark durch blutete Wangen, Schlaflosigkeit, Wahrnehmungsstörungen, hoher Harndrang, nervöse Zuckungen.
Schreitet die Krankheit fort, zerstört das körpereigene Immun system die fehlgeleiteten Hormone. In wenigen Ausnahmefällen kann es jetzt zu einer Spontanheilung kommen, die gemeinhin mit »erfüllter Partnerschaft« umschrieben wird.
In den meisten Fällen verläuft die Krankheit jedoch tückisch und nimmt in einer der folgenden Varianten ihren Lauf:
a) Zwei Patienten im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis ma chen sich gegenseitig das Leben zur Hölle, was sich symptomatisch in Wutanfällen, Aggressionsschüben und sogenannten Notlügen äußert. Gelingt es den Patienten trotzdem nicht, ihr Abhängigkeitsverhältnis zu beenden, spricht man vom morbus-ex-amore-masochisticus .
b) Ein Patient beendet sein bestehendes Abhängigkeitsverhältnis, weil er sich gegen seinen unbezwingbaren Drang nach Autonomie und Freiheit nicht länger zu wehren vermag. Da in den meisten dieser Fälle die Begegnung mit einem anderen Infek tionsherd zu einer neuen hormo nellen Fehlleitung führt, spricht man hier vom morbus-ex- amore-chronicus .
c) Das Abhängigkeitsverhältnis eines Patienten löst sich gegen seinen Willen auf, was dazu führt, dass sich der Patient nach seinem einstigen Gegenpart zurücksehnt. Diagnostiziert wird dieser Verlauf daran, dass sich der Patient nur an die schönen Momente mit seinem früheren Gegenpart erinnert. Eine Arznei zur Abhilfe seiner Qualen existiert nicht. Zur Linderung seiner
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