Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
Schmerzen können lediglich Alkohol, Schokolade oder aurasomatische Heilquellen aus der Esoterikschublade eingesetzt werden – man spricht vom morbus-ex-amore-tragicus .
»Und so was hebst du auf?«, fragte ich, nachdem ich die Zeilen überflogen hatte.
»Klar. Dein Brief hat mir damals mehr geholfen als alles andere, und offenbar hilft er jetzt auch dir. Du siehst schon viel fröhlicher aus als vor zehn Minuten.«
Der Spruch »Männer kommen und gehen, wahre Freundinnen bleiben«, kam mir in den Sinn, und ich war dankbar, das selbst zu erleben.
Ich wechselte das Thema.
»Hast du Tom eigentlich wiedergesehen?«
»Ja, aber da gibt’s nichts zu berichten. Wir haben uns mal auf ’nen Kaffee getroffen. Es war ganz nett.«
Ich glaubte Cosima kein Wort. Bestimmt wollte sie mir die Wahrheit nur nicht erzählen, weil morbus-ex-amore-tragicus- Patienten Berichte über morbus-ex-amore- Anfangsstadien als qualvoll empfinden.
»Du brauchst mich nicht zu schonen«, sagte ich deshalb. »Und jetzt die ganze Wahrheit.«
»Okay.«
Cosima konnte ihr Strahlen nicht länger verbergen und erzählte mir, dass sie Tom vor ein paar Tagen in einer Bar getroffen hatte. Dort war sie gar nicht erst dazu gekommen, ihn mit den Themen zu beeindrucken, die sie sich vorher zurechtgelegt hatte, da er sie noch vor dem »Hallo« leidenschaftlich küsste. Zehn Minuten später saßen sie in einem Taxi und fuhren in seine Wohnung. Das Gefühl, mit Tom zu schlafen, beschrieb Cosima als so intergalaktisch, dass es zu einer epochalen Wende in ihrem Gefühlsleben geführt hatte.
Ich gratulierte Cosima und wollte wissen, welche Ausrede sie Matthias aufgetischt hatte.
»Offiziell war ich in der Philharmonie. Matthias mag keine Klassik, da will er nie mit hin.«
»Ist ja praktisch.«
Alternativ bot ich ihr für die Zukunft auch angebliche Treffen mit mir als Alibi an. Ähnliche Alibi-Aufträge kamen bestimmt noch öfter auf mich zu. Eine Singlefreundin hatte mir kürzlich erst erzählt, dass sie aus den vielen Alibis, die sie Freun dinnen gab, ein Geschäft machen könnte. Um Anschlussfehler zu vermeiden, hatte sie sich sogar einen separaten Kalender angelegt, in dem sie vermerkte, wann sie offiziell mit welcher liierten Freundin angeblich wohin gegangen war beziehungsweise gehen würde.
Cosima freute sich über das Angebot und buchte mich gleich für den nächsten Abend. Als wir hörten, wie die Wohnungstür aufging und Matthias mit den Kindern nach Hause kam, verabschiedete ich mich und dankte ihr für ihre Unterstützung, durch die mein emotionaler Pegelstand um mindestens zwei Skalanoten in die Höhe geklettert war.
Da ich noch keine Lust hatte, nach Hause zu gehen, und Natalia mir gesimst hatte, dass mit den Kindern alles gut war, fuhr ich bei Anouk im Virchow-Krankenhaus vorbei. Ich vermutete, dass sie am Telefon fröhlicher getan hatte, als ihr zumute war, und die verordnete Bettruhe in Wahrheit kaum aushielt. Doch Anouk, die allein im Zimmer lag, seit ihre Bettnachbarin entlassen worden war, war tatsächlich bester Dinge und genoss es geradezu, ein paar Tage Zeit für sich zu haben und alle Bücher lesen zu können, die sich jahrelang auf ihrem Nachttisch angesammelt hatten.
»Spätestens nächste Woche geh ich wieder nach Hause«, sagte sie.
Laut Aussage des Oberarztes war das Baby dann so weit entwickelt, dass es ohne Risiko auch früher auf die Welt kommen könnte.
»Und sonst? Gibt’s was Neues?«
Ich berichtete ihr knapp, wie Jesco mit mir Schluss gemacht hatte.
»Ich will aber nicht mehr drüber reden«, fügte ich hinzu, um ein erneutes Hochkochen meiner Gefühle zu verhindern.
»Verstehe«, sagte Anouk und respektierte meine Bitte.
Pragmatisch fragte sie mich stattdessen, was ich angesichts der neuen Situation an Weihnachten vorhatte.
»Noch ein schlechtes Thema«, antwortete ich, denn meine Aussichten für die Feiertage hätten deprimierender nicht sein können: Dass die Kinder mit Mark wegfahren würden, war nicht mehr zu ändern. Marks Eltern würden aus Singapur kommen und gemeinsam mit ihnen Weihnachten auf einer bayerischen Berghütte feiern. Cosima fiel als weihnachtlicher Zufluchtsort auch aus, da sie wie jedes Jahr zu Matthias’ Familie in die Nähe von Kiel aufs Land fahren würde. Und die Last-Minute-Flucht in den Süden kam am wenigsten infrage. Dort hätte mich erst recht alles an Jesco erinnert, weil ich eigentlich mit ihm gemeinsam hatte verreisen wollen.
»Du kannst zu uns kommen«, sagte Anouk, »bei
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