Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
uns ist Heiligabend immer Open House. Jeder kann kommen und gehen, wie er will.«
Ich dankte ihr für die Einladung und bot an, bei den Vorbereitungen zu helfen.
Eine Krankenschwester steckte ihren Kopf zur Tür herein und wies uns auf das Ende der Besuchszeit hin.
»Ach, und Phyllis«, fuhr Anouk fort, »du weißt, dass man einen Mann am schnellsten durch einen anderen Mann vergisst, oder?«
Typisch Anouk, dachte ich, als ich meine Freundin zum Abschied umarmte und ihr klarmachte, dass ich momentan eher ins Kloster gehen würde, als mich nach einem anderen Mann umzusehen.
9
In den nächsten Tagen schleppte ich mich gequält durch den Alltag und verfluchte die dichter werdende Schneedecke, den Duft von Kaminfeuern und die sinnlichen Lichter, die meine romantischen Sehnsüchte schürten.
Wider alle Vernunft kam ich nicht gegen die Hoffnung an, Jesco könnte es sich doch noch mal anders überlegen. Bei jedem Handyklingeln zuckte ich zusammen und kramte unter Herzklopfen nach dem Telefon, um dann enttäuscht festzustellen, dass jemand anders dran war. Gleichzeitig ärgerte ich mich über mich selbst, weil es mir nicht gelang, mich der Realität zu stellen. Ein paar Mal bildete ich mir sogar ein, Jesco auf der Straße zu sehen. Doch natürlich war es immer ein Fremder.
Hinzu kam, dass ich mich dabei ertappte, wie unfair ich mich den Kindern gegenüber verhielt. Kaum hatten sie ein Wehwehchen, quengelten oder kippten aus Versehen ihren Kakao um, fuhr ich aus der Haut. Meine Nerven lagen derart blank, dass mir keine Kraft mehr blieb für die Kleinen. Von daher graute mir auch vor dem nächsten Wochenende, an dem ich mich nicht achtundvierzig Stunden ins Bett legen und mich meinem Kummer hingeben konnte, sondern stattdessen gemeinsam mit den Kindern ein Lebkuchenhaus backen und »Klingglöckchen, klingelingeling« hören musste.
Vielleicht, überlegte ich eines Nachts, als ich wieder mal wach lag, sollte ich Anouks Ratschlag »Einen Mann vergisst man am schnellsten durch einen anderen Mann« doch beherzigen. Als geeigneter Kandidat fiel mir Sven ein, da er mir vertraut war und sich in einer ähnlichen Lebenssituation befand wie ich. Mit ihm hätte ich nicht die Probleme, die ich mit Jesco hatte, da es für Sven ebenso selbstverständlich sein würde, dass Lorenz und die Zwillinge bei mir an erster Stelle kamen, wie mir klar sein würde, dass Nele seine Nummer eins war. Sven würde es mir auch nicht übel nehmen, wenn ich wegen eines wichtigen Klassentreffens meines Sohnes nicht verreisen konnte. Und garantiert würde er nicht von mir fordern, den Tannenbaum in die Wüste zu verpflanzen. Als starke Patchworkfront könnten wir Angriffe von außen abschmettern und uns gegenseitig unterstützen, wenn unsere Expartner uns wieder einmal quälten.
Meine Überlegung hatte jedoch zwei Haken. Erstens war Sven bei unserer letzten Begegnung mit dem Hot-Shot Julia liiert. Zweitens hatte ich mich zuletzt vor rund fünfzehn Jahren, als wir ein Liebespaar waren, körperlich zu ihm hingezogen gefühlt, und auch Sven machte nicht den Eindruck, als würde er mich noch begehren. Doch vielleicht könnte ich mich gedanklich manipulieren und umpolen? Die Leggins, die ich vor fünfzehn Jahren schön gefunden hatte und dann lange nicht mehr, gefielen mir ja inzwischen auch wieder. Und warum sollte Sven mich nicht auch wieder attraktiv finden, wenn ich ihm erst die richtigen Signale sendete?
Ich erinnerte mich an ein Buch über aktive Autosuggestion. Darin wurde behauptet, dass man sich durch das ständige Aufsagen des Mantras: »Mir geht es mit jedem Tag immer besser und besser« von vielen Leiden befreien konnte. Falls das stimmte, müsste das bei dem Satz »Ich finde Sven mit jedem Tag immer attraktiver und attraktiver« auch funktionieren. Ich beschloss, dass es einen Versuch wert war, und rief Sven gleich am nächsten Morgen an.
»Ich hab gerade an dich gedacht«, sagte er erfreut und berichtete mir, dass Nele ihn zum ersten Mal seit Langem besuchte. Die Situation mit seiner Ex hatte sich glücklicherweise wieder etwas entspannt.
»Nele fragt oft nach Maya und Fanny und würde sie gern treffen. Habt ihr nachmittags Zeit?«
»Das passt gut«, entgegnete ich und schlug den Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei als Treffpunkt vor.
In den sechs Höfen des unter Denkmalschutz stehenden Bauensembles herrschte reges Treiben, als Sven, die vier Kinder und ich sie betraten, und der unter skandinavischem Motto stehende Markt war in vollem
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