Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
Löwe« aufrief, warf ich das Sven-Wiedereinrede-Programm endgültig über Bord. Wie ein Irrer verdrehte er seine Augen, schielte auf den Punkt zwischen seinen Augenbrauen und streckte seine Zunge so weit aus dem Mund, dass er mit der Spitze sein Kinn hätte erreichen können. Dabei schüttelte er seinen Kopf, was die Haut seiner Wangenpartie schlabbern und seine Körperflüssigkeiten bis zu mir herüberspritzen ließ. Außerdem brüllte und schnaubte er bei jedem seiner Atemzüge so laut er konnte – wie ein Löwe eben.
Spätestens jetzt war klar, dass mich selbst die beste Hypnose der Welt nicht mehr dazu bringen könnte, jemals wieder mit Sven zu schlafen.
Es gibt einfach Bilder, die einem im Kopf bleiben und den Sex mit einem Menschen für immer unmöglich machen. So verbrachte ich vor meiner Ehe mal eine Nacht mit einem Mann, in den ich mich sehr verknallt fühlte. Als ich morgens aufwachte, lag er noch schlafend neben mir und nuckelte dabei am Daumen. Dazu machte er saugende Kleinkindgeräusche. Die Anziehung, die ich für ihn empfunden hatte, war von einer Sekunde auf die nächste wie weggeblasen, und unsere beginnende Liebesbeziehung blieb ein One-Night-Stand.
Nach der Yogastunde nahm ich mir eine Tasse indischen Tee und eine Scheibe Orange und stellte mich zu Sven. Der unterhielt sich gerade mit Mandy, die ihm gestand, lediglich zwei Jahre in New York gelebt zu haben – daher ihr Akzent –, eigentlich aber in Leipzig aufgewachsen zu sein. Anschließend drückte Mandy jedem Yogaschüler eine Werbebröschüre für ihren zehntägigen Yoga-Workshop » Feel the power of God intense für sinnliche spirituelle Abenteuer« auf den Malediven in die Hand. Sven schien sich für eine Teilnahme ernsthaft zu interessieren. Wobei ich mir nicht sicher war, was die sinnliche spirituelle Abenteuerlust in ihm hervorkitzelte: das Yoga oder Mandys beachtliche Brüste.
Als ich mich umzog, sah ich, wie meine Wimperntusche, die ich mir extra aufgetragen hatte, um Sven zu gefallen, in schwarzen dicken Balken unter meinen Augen verlaufen war. Ich holte die Kinder ab und wünschte Sven, der immer noch mit Mandy redete, schöne Feiertage. Hoffentlich, dachte ich, hatte ich mir durch mein entgiftendes Yogaerlebnis nicht nur Sven, sondern auch Jesco aus meinem System geschwitzt.
Kurz vor Weihnachten war der letzte Fortbildungstag vor den Ferien. Da Dexter, die anderen Teilnehmer und ich im Advent keinen passenden Termin für eine Weihnachtsfeier gefunden hatten, beschlossen wir, am sechsundzwanzigsten Dezember das Ende der Feiertage zu feiern.
Nach Unterrichtsschluss begleitete ich Dexter zu einem Steh imbiss um die Ecke. In den letzten Wochen hatten wir lediglich zwischen Tür und Angel miteinander geredet. Da Dexter neben seiner Dozententätigkeit einen projektbezogenen Auftrag für das Volkswagen Design Center in Potsdam angenommen hatte, war er zeitlich so stark beansprucht, dass er selbst Pausen am Fortbildungsinstitut zum Arbeiten nutzte.
Nachdem wir uns jeder eine Suppe und etwas zu trinken bestellt hatten, erkundigte ich mich nach Dexters Plänen für die Feiertage.
»Wir feiern alle zusammen«, sagte er und meinte damit sich, seine Kinder und Exfrau, deren Eltern, Geschwister, Nich ten und Neffen.
»Freiwillig würde ich das nicht machen«, fuhr er fort.
Doch da seine Kinder es sich gewünscht hatten, ihn an Weihnachten mit dabeizuhaben, hatte er dem Plan schließlich zugestimmt.
»Und wie geht der Umbau voran?«, fragte ich weiter.
»Frag besser nicht«, sagte Dexter und schilderte mir die Situation: Da der von mir empfohlene Bauleiter ausgebucht war, akquirierte Dexter jemanden übers Internet. Dass dieser Mann – der von seinen Kumpels wegen drei fehlender Finger an der linken Hand Zwei-Finger-Jo genannt wurde – zuvor tatsächlich schon mal als Organisator einer Baustelle tätig gewesen war, bezweifelte Dexter jedoch inzwischen. Nach meinen Plänen und Dexters Wünschen richteten sich die Handwerker nämlich nur Pi mal des nicht vorhandenen Daumens.
Angefangen hatte der Ärger gleich am ersten Abend, an dem Dexter auf der Baustelle nach dem Rechten sah: Der Badinstallateur hatte nicht die von Dexter gewünschte Toilette bestellt, sondern ein Modell, das im angelsächsischen Ausland als stage toilet verlacht wird. »Bühnentoilette« deshalb, weil die Fäkalien nicht direkt im Wasser verschwinden, sondern erst auf einem Absatz landen und dort wie auf einer Bühne präsentiert werden.
Der Umtausch der stage
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