Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
hatte.
»Tim besteht darauf, dass Stella und ich noch zwei Tage im Krankenhaus bleiben, also fällt die Party bei mir zu Hause aus.«
Ginge es nach ihr, fuhr Anouk fort, würden sie zwar alle nach Hause gehen und Heiligabend wie geplant feiern. Tim aber war nicht davon abzubringen, dass es für sie und das Baby das Beste wäre, wenn sie sich noch einen Tag im Krankenhaus erholten.
Ich teilte Tims Meinung. »Dass du kurz nach einer Geburt überhaupt an Gäste bei dir zu Hause denken kannst!«
»Aber es ist doch Weihnachten!«, rief Anouk und lud mich alternativ ein, mit ihr und dem Rest der Familie im Krankenhaus zu feiern, falls mich die sterile Krankenzimmer-Atmosphäre nicht deprimierte.
»Danke«, entgegnete ich, lehnte Anouks Angebot aber ab. Die Umgebung war nicht der Grund, doch war ich mir sicher, dass ich mich im Kreis von Anouks engster Familie in der intimen, postnatalen Situation fehl am Platz fühlte.
Ich fuhr nach Hause, holte Clooney ab, spazierte mit ihm durch die Stadt und beobachtete das wuselige Treiben der Menschen, die ihre letzten Weihnachtsbesorgungen tätigten. Dann kaufte ich Clooney eine extra lange Leberwurst, den Schildkröten einen Bio-Bataviasalat und mir eine Flasche Schampus, sechs Austern und Zitronen und überlegte, was ich mit dem Rest des Tages anfangen sollte.
»Sieh es positiv«, versuchte ich mir mein Weihnachten schönzureden. Monatelang war so viel zu tun gewesen, dass ich mich nicht nur beim Nichtstun schuldig fühlte, sondern auch dann, wenn ich nur eine einzige Sache und nicht mehrere Dinge auf einmal erledigte. Wie oft hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als Zeit, Muße und Langeweile. Und jetzt, passend zu Weihnachten, ging mein Wunsch endlich in Erfüllung.
Am Stand eines Weihnachtsbaumverkäufers entdeckte ich ein letztes, übrig gebliebenes Tännchen und brachte es nicht übers Herz, es stehen zu lassen. Ich kaufte den zerrupften Baum und schämte mich gleichzeitig für die sentimentale Anwandlung. Auf dem Weg nach Hause gingen nach und nach die Lichter in den Wohnungen an, die Straßen wurden immer leerer, und eine andächtige Atmosphäre lag über der Stadt.
Zurück in meiner Wohnung schmückte ich meinen Baum mit Wachskerzen und legte weihnachtliche Jazzmusik auf. Ich öffnete den Schampus, die Austern und die selbst gebastelten Geschenke meiner Kinder. Da es mir trotzdem noch zu still erschien, schaltete ich den Fernseher ein, wo ausgerechnet der Weihnachtsklassiker Tatsächlich Liebe lief.
Ich musste an Jesco denken und stellte mir vor, wie er vielleicht gerade über eine Sanddüne lief oder im Meer schwamm. Je länger ich über seine Entscheidung, sich von mir zu trennen, nachdachte, desto besser konnte ich sie nachvollziehen: Jesco genoss es, sich in den Tag hinein treiben zu lassen und wollte dieses Lebensgefühl auch mit der Frau an seiner Seite teilen. An meiner Seite musste er sich jedoch teilweise wie mein Hobby gefühlt haben, für das ich kaum Zeit hatte – gemeinsame Erlebnisse mit einem Mann kamen in meiner Rangfolge nun mal nach den Bedürfnissen der Kinder. Außerdem hatte wahrscheinlich auch Marks Rolle in meinem Leben Jescos Entscheidung beeinflusst. Nicht etwa, weil er befürchtete, Mark und ich könnten wieder zusammenkommen, sondern weil durch unsere gemeinsame Elternschaft eine spezielle Verbundenheit zwischen uns herrschte, die es so nicht mehr geben würde. Nicht zuletzt war Jescos Vorwurf, ich hätte versucht, ihn in meine bestehenden Strukturen hineinzupressen, nicht von ungefähr gekommen. Es wäre wirklich an mir gewesen, alte Gewohnheiten zu überdenken, mich gegebenenfalls von ihnen zu lösen und mich auf einen gemeinsamen Neubeginn einzulassen.
Bei allem Verständnis nagte trotzdem noch die Enttäuschung an mir, dass ich mich in der Stärke von Jescos Gefühlen für mich offenbar getäuscht hatte. Denn hätte er mich wirklich geliebt, hätte er seine Gefühle doch niemals einem Lebenskonzept unterwerfen und den Kopf so schnell in den Sand stecken können.
Später am Abend meldeten sich die Kinder aus Bayern und wollten mit mir skypen. Über die Webcam sah und hörte ich Lorenz, die Zwillinge, Mark und seine Eltern in einer urigen Bauernstube vor einem prachtvoll geschmückten Baum. Marks Freundin Franziska schien nicht dabei zu sein, was mich erstaunte, da die Kinder mir erzählt hatten, dass sie auch mitkommen wollte.
Ich goss mir Schampus nach, pfiff Clooney mit vor die Webcam, prostete meiner Verwandtschaft
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