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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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viel. Was macht Ida?«
    »Sie schläft. Hast du schon ihren Brief bekommen?«
    »Nein.«
    »Hoffentlich fängt er nicht an zu stinken. Ich konnte es ihr nicht ausreden.«
    »Schon gut.«
    Eine Pause entstand. Emma sah ihre Mutter in der Küche stehen. Sie hatte ein Glas Rotwein vor sich. Die Haut auf ihren Armen schien golden im Licht der Tiffanylampe. Emma hatte die Lampe von Anfang an kitschig gefunden. Die Mutter ließ sich nicht beirren. Sie war teuer, fast ihren gesamten monatlichen Lohn hatte sie dafür hingelegt. Damals war das kein Problem. Emma verdiente gut. Beinahe wäre sie die jüngste Leiterin der Polizeiredaktion geworden. Seit Gründung des Senders. Beinahe.
    »Die Kommission hat angerufen.«
    Emma hielt den Atem an.
    »Ja?«
    »Sie tagt am Wochenende. Ich habe ihnen gesagt, wo sie den Brief hinschicken sollen. Das war doch in Ordnung?«
    »Sicher.«
    Pause.
    »Du, Emma?«
    »Hmmh?«
    »Wenn sie einsehen, dass du nicht schuld warst – ich mein, das müssen sie doch, nicht wahr?«
    Emma entdeckte einen Käfer an ihrer Spüle.
    »Ich weiß nicht.«
    Sie nahm das Tier mit einem Taschentuch auf.
    »Also, dann könntest du doch wieder hier arbeiten, oder?«
    Emma dachte an die Gesichter der Nachbarn. An das Schweigen der Kollegen. Wie sie allein am Tisch in der Kantine gesessen hatte. Sie drückte das Taschentuch zusammen. Ganz leicht fühlte sie den kleinen Panzer zwischen ihren Fingern bersten.
    »Ich kann dir bald Geld schicken. Ich arbeite viel.«
    »Ja, danke.«
    Helene schwieg. Dann holte sie tief Atem und spielte ihren letzten Trumpf aus.
    »Ida denkt die ganze Zeit an dich.«
    Emma wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten konnte. Sie wollte nicht am Telefon weinen.
    »Du, ich muss noch was vorbereiten.«
    »Mach nicht zu lange.«
    »Ist gut.«
    »Wir kommen schon klar.«
    »Tschüss Mama.«
    »Tschüss, meine Große.«
    Sie warf das Telefon auf die Matratze und presste ihre Hände auf die Augen. Lange blieb sie so sitzen. Als sie in das Taschentuch schnäuzen wollte, sah sie den zerquetschten Käfer. Eine gelbliche Flüssigkeit war aus ihm herausgetreten. Sie fragte sich, ob das nun dasselbe war wie Vögel vergiften. Dann warf sie das Tuch in den Müll.

A m Morgen strich Emma Butter auf das Knäckebrot und streute Salz darüber. Sie aß langsam. Durch das geöffnete Fenster lärmte der Verkehr. Sie dachte an den ermordeten Tom Rosenberg. Seine deutsche Großmutter hatte auf ihn aufgepasst, hatte die Referentin erzählt. Vielleicht saß er als Kind auch in einer Küche und aß Knäckebrot, neben sich die alte Frau, die die fremde Sprache nicht mehr lernte. Vielleicht hat sie ihm erzählt von dem Deutschland, das sie fortgejagt hatte. Hat er damals ihre Worte verstanden und später vergessen? Oder das Gerede wie einen fremden Klangteppich hingenommen? Hat es ihm etwas ausgemacht, hier in Berlin zu sein, in der alten Heimat seiner Familie?
    Ihr Rad hatte sie vor der Tür an eine Straßenlampe gekettet. Auf dem Gepäckträger klemmte eine leere Hamburger-Schachtel. Über das Schutzblech zogen sich Ketchupflecken und feuchte Schlieren. So hoch konnte kein Hund das Bein heben. Emma warf die Schachtel in den Müll. Sie nahm sich vor, das Rad ab jetzt im Innenhof anzuschließen.
    In sieben Minuten war sie am Potsdamer Platz. Sie schloss ihr Rad ab und ging durch die gläsernen Türflügel in die Empfangshalle. Der Raum war riesig und fast leer. Am anderen Ende, bei den Fahrstühlen, sah sie eine Frau hinter einem Empfangstresen. Emma steuerte darauf zu. Bis sie dort war, hatte die Frau viel Zeit, sie einzuschätzen. Offensichtlich erschien sie ihr nicht wichtig. Aus halb verhangenen Augen schaute sie ihr entgegen, der Mund blieb ein grader Strich.
    »Guten Tag, ich bin Journalistin und arbeite für BerlinDirekt. Ich sitze an einer Reportage über die Firmen am Potsdamer Platz. Haben Sie vielleicht eine Broschüre über die Firma von Alexander Bohmann?«
    Das Wort »Journalistin« war der Schlüsselreiz, auf den die Frau reagierte. Ihre Mundwinkel bogen sich nach oben, während sie hektisch unter ihrem Tresen kramte.
    »Hier bitte. Wenn Sie wollen, kann ich Sie auch gerne mit unserer Presseabteilung verbinden.«
    Wie schaffen es die Bosse nur, dass sich auch die schlechtbezahlteste Angestellte mit der Firma identifiziert, dachte Emma, während sie das Faltblatt entgegennahm.
    »Nein danke, dies hier reicht mir erstmal.«
    Sie setzte sich auf ein dunkelgrünes Ledersofa, die einzige Sitzgelegenheit in

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