Wer im Trueben fischt
elfenbeinfarbenen Flügeltüren zum Salon waren weit geöffnet. Emma sah geschmückte Tische und weitere Gäste. Ein Filmteam leuchtete den Raum aus und richtete erste Stellproben vor dem Kamin ein.
In der Halle erschien jetzt Alexander Bohmann, der Sohn des Jubilars. Die Journalistin des Filmteams stellte sich vor ihn und redete auf ihn ein. Sie bat ihn in den Salon für ein Interview. Als sie in Emmas Richtung gingen, drehte sie den Kopf zur Seite. Sie befürchtete, dass Bohmann sich an ihr Treffen am Freitag erinnern und sie rauswerfen würde. Aber Bohmann war jetzt auf die Frau an seiner Seite fixiert und sah sie nicht. Als er ganz nahe an Emma vorbeiging, hörte sie, wie er der Fernsehjournalistin leise sagte, sie müsse ihn vor der Kamera auf jeden Fall auch auf den Bau der BND-Zentrale ansprechen. Die Frau nickte.
Emma ging ihnen die wenigen Schritte bis zur Salontür nach und warf einen Blick in den Raum.
Der lang gezogene Haupttisch an der Rückseite war noch leer, an den anderen Tischen saßen erste Gäste und unterhielten sich halblaut.
Die Frau vom Fernsehen hatte Alexander Bohmann mittlerweile vor dem offenen Kamin platziert und gab dem Kameramann ein Zeichen. Das helle Licht der Kamera erstrahlte, und die Köpfe im Raum drehten sich in Richtung Kamin.
Eine Hand legte sich auf Emmas Schulter, und sie fuhr herum.
»Spinnst du eigentlich, dich hier einzutragen?«
Emma schaute in das wütende Gesicht einer jungen Frau mit schwarzem Pagenkopf. Sie meinte, sie schon einmal in der Redaktion gesehen zu haben. War sie nicht am ersten Tag zu ihr gekommen, hatte ihr die Hand geschüttelt und versucht, sie auszufragen? Emma überlegte, ob ihr der Name der Kollegin einfiel, aber dann gab sie es auf und zuckte mit den Schultern. Die Frau bezog das auf sich und schnaubte wütend. Emma erwartete fast, dass ihr eine Stichflamme aus der Nase schoss.
»Den Bericht mach ich«, zischte die Kollegin ihr zu, »da kannst du schlafen, mit wem du willst.«
Emma verging das Lachen. Sie fasste die Frau jetzt grob an die Schulter.
»Was sagst du da?«
»Aua, lass mich los!« Emma lockerte den Griff und warf einen raschen Blick um sich. Noch immer starrten die meisten nach vorn zur Fernsehaufzeichnung. Die Kollegin zupfte an ihrem Pullover mit Glitzeraufdruck.
»Ist mir doch egal. Mir ist auch egal, ob du dich hier vollstopfst mit Kuchen. Aber den Bericht mach ich!«
Emma wollte ihr gerade antworten, da hielt sie inne. Sie hatte Martha entdeckt.
Sie saß an einem der größeren Tische in der Mitte des Raumes und schaute als Einzige nicht zu dem hell ausgeleuchteten Kamin, sondern starrte vor sich hin. Die Plätze neben ihr waren frei.
Emma betrachtete die alte Frau. Sie war ganz in Weiß gekleidet, trug einen schmalen Rock und eine Jacke mit Schößchen, die ihre zierliche Gestalt betonte.
»Stimmt also, oder was?«
Emma wandte sich wieder der Kollegin zu, die nervös auf den Innenseiten ihrer Lippen kaute und sie beobachtete. Emma überlegte, ob sie etwas richtigstellen sollte. Aber diese Frau hätte ihr sowieso nicht geglaubt. Sie sagte nichts, bis die andere noch einmal kräftig durch die Nase schnaubte und sich an ihr vorbei in den Salon drängelte. Ihre Absätze klapperten auf dem hellen Marmorboden, bis sie in einer Nische stehen blieb und sich dort auf einen der gepolsterten Stühle fallen ließ.
Emma schaute wieder zu Martha hinüber. Sie saß noch immer allein und stumm an dem großen Tisch.
Sie erinnerte Emma an die alte Braut im Märchen. Als der Prinz sie verließ, blieb sie auf dem Stuhl sitzen, bis sie eines Tages eine Greisin war. Helene hatte ihr die Geschichte erzählt, Emma hatte später nie wieder etwas Ähnliches gehört oder gelesen, vielleicht hatte ihre Mutter sie sich ausgedacht. Emma zweifelte damals nicht einen Moment daran, dass eine Traurigkeit so viel Macht hatte. Wenn sie hingefallen war oder sich mit ihren Freundinnen verkracht hatte, rannte sie ins Bad und kletterte auf den Hocker, um im Spiegel nach Runzeln und weißen Haaren zu forschen. Und weil sie nichts fand, dachte sie, es muss noch eine größere Traurigkeit geben. Später dann, als ihr Vater die Familie nach Idas Geburt verließ, war sie schon zu alt, um noch an Märchen zu glauben.
Marthas Haare waren heute in Wellen gelegt wie bei einem Filmstar der 40er Jahre. Sie sah königlich und furchterregend aus, und vielleicht war das der Grund, dass niemand mit ihr sprach. Hin und wieder warf sie eine Bemerkung zu einem der
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