Wer im Trueben fischt
niedrigen Brückenpoller. Johann starrte die Leute meist mit offenem Mund an, den indischen Brotverkäufer, den Stadtblatthändler, der die Schlagzeilen laut sang. Manchmal war auch ein Feuerspucker dabei. Früher hatte Blume geglaubt, hier gehörte er eher hin als in die Zehlendorfer Gemeinde. Das erschien ihm heute lächerlich, und er schämte sich vor sich selbst. Ob Emma hier zurechtkäme? Wo gehörte sie hin? Wenn er neben ihr stand, musste er sich zusammenreißen, um sie nicht anzufassen. Er wollte sie die ganze Zeit berühren.
Er setzte sich vor seinen riesigen Fernseher und zappte durch die Kanäle. Im ersten Jahr hier in Kreuzberg hatte er sich keinen angeschafft und das auch hin und wieder vor seinen Kollegen erwähnt, die ihn dann fassungslos anstarrten. An Samstagen in der Bundesliga-Saison luden sie ihn zu sich nach Hause ein. Er hatte dann gelacht. Aber irgendwann war ihm das alles falsch vorgekommen, wie ein Leben, das nicht zu ihm gehörte.
Er hielt es nicht mehr aus in der Wohnung, nahm seine Jacke und ging auf die Straße. Am Landwehrkanal wich er den Kinderwagen aus und beobachtete die Schwäne, die im bracken Wasser nach Eisstängeln schnappten. Er holte sein Handy aus der Tasche und überlegte, ob er sie anrufen sollte. Er dachte daran, wie enttäuscht er gewesen war, als er vor dem leeren Auto gestanden hatte. Er verschob den Anruf auf später.
Emma saß in der Notaufnahme der Charité und konzentrierte sich auf das Muster auf der Wand ihr gegenüber. Sie wusste, dass Penelope jetzt der Magen ausgepumpt wurde. Ein Arzt mit sanften Augen hatte es ihr gesagt, obwohl sie keine Verwandte war und es eigentlich nicht wissen durfte. Es bringt aber nichts, hatte er gesagt, das meiste von dem Zeug geht gleich ins Blut.
Eine Schwester schob ihr ein Klappbett in ein leeres Zimmer. Als Emma sich beim Aufstehen die Hüfte hielt, setzte die Schwester sie auf die Liege und zog das T-Shirt hoch. Ihre Seite schimmerte blau und rot. Sie bekam einen Verband und eine Tablette. Und dann schlief sie, schlief auf dieser Liege, während um sie herum Flurlichter an- und ausgingen, Kinder auf ihren Zimmern schrieen und die Krankenwagen vor der Notaufnahme aufheulten.
In ihrer Wohnung trocknete Penelopes Erbrochenes. Und daneben lag Emmas Telefon und klingelte.
A m Morgen bekam Emma einen Kaffee und die Nachricht, dass Penelope außer Lebensgefahr war. Die Mutter sei noch nicht aufgetaucht, nein, sie dürfe nicht zu ihr, Penelope sei jetzt auf der Kinderstation und schlafe, sicher noch den ganzen Tag. Emma lief durch den Prenzlauer Berg bis zu ihrer Wohnung. Es regnete nicht mehr, aber es war kalt und feucht. Zu Hause duschte sie und zog sich um. Sie strich über den grauen Stoff ihres Anzugs, um ihn zu glätten. Bei der Bluse hatte das keinen Sinn, deshalb verzichtete sie darauf und nahm stattdessen einen dünnen Wollpullover. Mit dem Filzstift schrieb sie eine Nachricht für Penelopes Mutter an den Rand des Zettels, den der Notarzt an die Wohnungstür geklebt hatte.
Unten warf sie einen Blick auf ihr Fahrrad und tastete nach der Hüfte. Es schmerzte nur noch dumpf. Gleich morgen früh würde sie das Rad in die Werkstatt bringen. Heute musste sie noch mal mit der S-Bahn fahren.
Eine halbe Stunde später stieg sie am S-Bahnhof Zehlendorf aus. Wieder kam es ihr vor, als wäre sie in eine andere Stadt gefahren, eine Stadt mit sauberen Bürgersteigen und spitzgiebeligen Einfamilienhäusern, mit Spaziergängern, die ihren Kindern auf den leeren Straßen das Fahrradfahren beibrachten oder von der Kirche nach Hause gingen.
Der Kiesweg vor der Bohmann’schen Villa war zugeparkt mit schweren Limousinen. Die Stufen der Steintreppe waren gesäumt von violetten Stockrosen, die in der feuchten Luft schimmerten. Die meisten Besucher liefen rasch an ihnen vorbei nach oben zum Hauseingang, während sie mit einer widerspenstigen Schirmautomatik kämpften oder ihre Einladungen über das frisierte Haar hielten.
Emma ging durch die geöffnete Tür. Ein geräumiger Windfang stoppte die kalte Luft. Dahinter kam sie in die eigentliche Halle. Links stand eine Frau hinter einem Stehpult und sprach mit den gerade eingetroffenen Gästen. Hinter ihr war eine Garderobe eingerichtet worden. Emma trug sich in die Presseliste ein. Am liebsten hätte sie ihre schäbige Jacke anbehalten, ihr war immer noch kalt. In der Halle waren Stehtische verteilt, ein Büfett wurde gerade am Fuß der wuchtigen Gründerzeittreppe aufgebaut. Die
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