Wer im Trueben fischt
einen Knopf an der Lehne seines Rollstuhls. Leise surrend drehten sich die Räder. Emma sprang auf.
»Er hat Sie gebraucht, und Sie haben ihn verraten. Waren Sie wütend auf ihn? Oder ging es Ihnen einfach nur um das Geld?«
Bohmann blieb einen Moment regungslos. Dann fuhr er auf den Ausgang zu, durch die schwellenlose Tür. Im Flur drückte er einen Knopf unter einer Sprechanlage. Emmas Hals war trocken. Wie sollte sie ihn nur bewegen, ihr etwas zu erzählen?
Eine Stimme klang aus der Sprechanlage.
»Alles ist bereit, Herr Bohmann. Soll ich Sie hinunterbegleiten?«
Emma zog ihren letzten Trumpf.
»Er hat seinen Sohn nach Ihnen benannt, Herr Bohmann. Er hieß Heinrich.«
Es war still. Emma hielt den Atem an. Sie sah auf den Hinterkopf von Heinrich Bohmann, seine spärlichen Haare standen wie der Flaum eines Neugeborenen zu Berge. Er hob seine Hand und drückte auf die Sprechanlage.
»Noch einen Moment, Frau Kummer.«
Leise wendete er den Rollstuhl und fuhr wieder in das Zimmer. Emma stand noch immer vor den großen Fenstern und sah ihm entgegen. Mühsam schluckte sie, ihr Hals war eng, ihre Augen schwammen. Dicht vor ihr blieb er stehen. Leise sagte er:
»Miriam hat ihren Sohn nach mir benannt?«
Emma nickte. Ganz langsam schob sie das Mikrofon näher an ihn heran.
»Später in Amerika wurde er Henry gerufen.«
Der alte Mann saß versunken da. Seine Unterlippe zitterte. Sah er Miriam vor sich, die junge Frau im hell getupften Kleid?
Langsam ging Emma in die Knie. Sie versuchte, seinen Blick einzufangen.
»Es gab einen Enkel, Tom Rosenberg. Ist er hier bei Ihnen gewesen?«
»Sie war viel jünger als er.«
Bohmann lächelte, zum ersten Mal seit ihrem Gespräch. Und auf einmal sah Emma eine Spur von Ähnlichkeit mit dem Jungen auf dem Foto, dem sechzehnjährigen vor Kraft und Selbstgewissheit strotzenden Lehrling. Dann war das Bild verschwunden, und sie stand wieder vor dem alten Mann. Sie legte eine Hand auf die Lehne seines Rollstuhls.
»Tom Rosenberg, Herr Bohmann. Miriams Enkel. Hat er Sie besucht?«
»Er wollte. Aber es ist nicht dazu gekommen.«
»Hat er Sie angerufen?«
»Ich war so überrascht. Miriams Enkel, nach all der Zeit. Ich wollte nur etwas Zeit. Ich sagte ihm, es gehe mir nicht besonders und ob er sich noch mal in ein paar Tagen melden könnte.«
Ein paar Tage, dachte Emma. Rosenberg fing an, auf eigene Faust zu recherchieren. Dann tauchten plötzlich Drohbriefe auf, Hakenkreuze an den Wänden seiner Wohnung.
»Haben Sie Ihrem Sohn davon erzählt?«
Der alte Mann reckte seinen Kopf. Seine Augen schauten wachsam.
»Warum interessiert Sie das?«
»Ich glaube, dass Ihr Sohn Angst bekommen hat. Und dass er Freunde, die heute hier nicht eingeladen sind, um Hilfe gebeten hat.«
Bohmann schüttelte den Kopf. Der Flaum wehte hin und her.
»Absurd. Ich hab ihm nichts erzählt.«
Ich glaube ihm, dachte Emma. Aber selbst wenn er die Wahrheit sagte, entlastete das den Sohn nicht. Vielleicht hatte er von einer Angestellten von dem Anruf erfahren, vielleicht hatte sich Rosenberg zuerst an ihn gewandt.
»Warum wollten Sie Rosenberg nicht sehen?«
»Ich wollte ja, nur etwas später, nur bis ich mich …«
»Haben Sie sich geschämt?«
Er wandte sich ab.
»Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste.«
»Sie haben Rosenbergs Besitz behalten.«
»Seien Sie doch nicht naiv. Es war Krieg.«
»Und später? Sie hätten mit Miriam Kontakt aufnehmen können.«
Der alte Mann murmelte etwas. Emma beugte sich vor. Das Mikro steht immer noch zu weit weg, dachte sie.
»Was haben Sie gesagt?«
»Sie wollte es nicht.«
Emma schaute ihn erstaunt an.
»Haben Sie sie getroffen?«
»Nein. Sie wollte mich nicht sehen und auch kein Geld von mir.«
Bohmann lächelte.
»Sie war eine stolze Frau.«
Und du hast sie geliebt, dachte Emma. Der alte Mann kicherte.
»Er war ein Gauner.«
Emma beugte sich wieder vor und zog das Mikro noch näher ran.
»Wer?«
»Caro. Und ich war sein bester Schüler. Wissen Sie, wie man mich genannt hat?«
»Sie werden es mir sagen.«
»Einen weißen Juden.«
»Was bedeutet das?«
»Das war kein Loblied, das können Sie mir glauben. Caro hat sie alle beschissen. Wie er die Bauern um das Land gebracht hat, das war einfach unglaublich.«
Emma blieb der Mund offen stehen. Was wird denn das hier jetzt, dachte sie.
»Papa?«
Sie hörten Alexander Bohmanns Schritte auf der Treppe. Emmas Blick flog zur Tür, aber es steckte kein Schlüssel. Sie musste die
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