Wer im Trueben fischt
Emma drehte sich zu ihm. Er räusperte sich und griff zum Telefon.
»Einen Moment noch.«
Sie sah wieder weg. Er beobachtete sie, während er den Telefonhörer an sein Ohr presste. Er verlangte, Schneider zu sprechen. Emma sah hoch, und Schulenburg wandte den Blick zum Monitor.
»Schulenburg. Der Nachruf von Bohmann ist okay, Ernst muss nur das Ende neu machen. Er soll den Geburtstag noch reinnehmen.«
Schneider sagte etwas. Schulenburg scrollte mit der Tastatur über den Beitrag.
»Nimm das in der Mitte, die 50er Jahre. Sebastian soll nachfragen, ob ein Kondolenzbuch ausliegt. Dann muss der Ü-Wagen dahin.«
Schulenburg wartete die Antwort von Schneider ab, brummte dann etwas und legte auf. Emma setzte sich gerade hin. Schulenburgs Blick blieb am Monitor hängen, seine Augen waren starr. Emma wurde unsicher. Das Schweigen war zu lang. Dann sah er auf.
»Ich muss Sie vom Mikrofon nehmen.«
Der Rundfunkrat, dachte sie. Bremen. Aber es war doch alles gut gegangen.
»Ich bin nicht gerügt worden, nicht offiziell.«
Er hatte sich schon wieder abgewandt, tippte auf seiner Tastatur. Emma fühlte ihren Schweiß ausbrechen. Schulenburg stand auf und ging zum Konferenztisch. Er drehte den Monitor des Notebooks zu Emma. Eine PDF -Datei baute sich auf. Schulenburg redete, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen.
»Ich habe heute eine E-Mail mit diesem Anhang bekommen. Es handelt sich dabei um einen Artikel, der morgen in der Allgemeinen Berliner Zeitung erscheinen wird.«
Jetzt sah er sie an.
»Es sei denn, ich kann den Herausgeber überzeugen, den Artikel aus dem Blatt zu nehmen.«
Emma starrte auf den Monitor. »Berliner Sender fischt am rechten Rand«, lautete die Überschrift. Sie raste durch die Zeilen.
»Zum hundertsten Geburtstag des Berliner Stararchitekten Heinrich Bohmann recherchiert der Sender über illegale Geschäfte des jüdischen Kompagnons. Dass ein Jude Anfang der 30er Jahre in Deutschland in besonderen Zwängen steckte, wird dabei außen vor gelassen. Für diese Berichterstattung hat der Sender eine Reporterin beschäftigt, die für ihre unsauberen Methoden bekannt ist. In Norddeutschland hat sie ein 15jähriges Mädchen überredet, eine Vergewaltigung zu fingieren, um eine breitangelegte Frauenkampagne zu unterstützen. Als der Schwindel aufflog, hat sich das Mädchen in der Turnhalle ihrer Schule erhängt.«
Emma sah hoch in die Augen von Schulenburg. Er drehte sich zum Fenster und schaute hinaus. Sie las die letzten Zeilen auf dem Monitor.
»BerlinDirekt hat bereits dementiert, damit neue Hörer im rechtsradikalen Lager für sich gewinnen zu wollen.«
Emma räusperte sich, sie versuchte, ihre Stimme tief zu halten.
»Das ist eine Kampagne von Bohmann. Der Herausgeber war gestern auf dem Geburtstag.«
Schulenburg sagte nichts. Er ging zu seinem Schreibtisch und drückte mit einem heftigen Schlag auf die Tastatur. Die Datei auf den Monitoren verschwand. Emma versuchte es noch einmal.
»Das zeigt doch nur, dass Bohmann Angst bekommt. Wir sind auf der richtigen Spur.«
Jetzt sah Schulenburg hoch.
»Das zeigt nur, dass Sie sich die falschen Leute zu Feinden machen. Ab sofort taucht Ihr Name hier nicht mehr auf. Und ich versuche das hier zu verhindern.«
Emma sagte leise:
»Und was ist mit meinen Recherchen? Dem Interview? Es war vermutlich das letzte und ehrlichste, das er je gegeben hat. Wollen Sie das einfach fallenlassen?«
»Emma, der Mann ist tot! Wer sagt mir denn, dass Sie ihm nicht zu sehr zugesetzt haben? Vielleicht sind Sie ja schuld?«
Emma starrte ihn an. Ihr Augenlid fing an zu zucken. Er murmelte:
»Ich kann mir schon die Schlagzeile für übermorgen denken.«
Emma wurde die Luft eng. Sie musste aufstehen.
»Ich hätte nie gedacht, dass Sie sich vor denen fürchten.«
Jetzt stand auch Schulenburg auf.
»Vergessen Sie Ihre Story. So oder so – einem Toten pisst man nicht ans Bein.«
S chneider hatte zu tun. Die Nachricht vom Tod des weltberühmten Architekten stand jetzt in den Agenturen, er musste ein ARD -Angebot herausgeben. Der Ü-Wagen fuhr zur Dahlemer Villa und berichtete von Nachbarn, die verstört am Zaun standen. Aber auch der ursprüngliche Termin war wichtig, und Schneider telefonierte eine halbe Stunde nach einem Reporter, den er dorthin schicken konnte. Erst kurz vor Mittag fiel ihm auf, dass Emma von dem Gespräch mit Schulenburg nicht zurückgekommen war.
Er lief durch die Redaktionsräume, fragte die Kollegen und fand sie schließlich in der
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