Wer im Trueben fischt
ihr entgegen. Sie sah aus, als ob sie fror.
Was war mit ihr? Hatte sie genug Kraft, um wütend zu sein? Konnte sie aufgeben, wo sie doch Jenni beschworen hatte zu kämpfen?
Sie ging immer weiter, machte große Schritte und wich den Pfützen aus. Das kalte Wetter machte ihren Kopf klar. Ihre Entscheidung war gefallen. Sie holte tief Luft, drehte um und ging zurück zum Funkhaus.
Als sie den Redaktionsraum betrat, hoben sich die Köpfe. Niemand sagte ein Wort. Manche waren verlegen und beugten sich gleich wieder tief über ihre Arbeit.
Vielleicht hatte Schulenburgs Sekretärin geplaudert. Oder er hatte den Redakteuren schon Anweisung gegeben, sie nicht mehr ans Mikrofon zu lassen. Emma entdeckte ihre Sachen, jemand hatte sie gestapelt und auf das kleine Tischchen neben die Kaffeemaschine gelegt. Sie setzte sich damit an den freien Platz der Vormittagsredakteurin und fuhr den Computer hoch. Ernst ging an ihr vorbei. Emma zwang sich, den Kopf zu heben und ihn anzusehen. Aber er schaute nur geradeaus und lächelte.
Zwei vom Nachrichtenteam kamen plaudernd herein. Als sie Emma sahen, verstummten sie und gingen zu ihren Plätzen. Emmas Finger zitterten, als sie ihr Passwort eingab. Das kenne ich schon, dachte sie. Ich steh das nicht noch einmal durch. Als sich wieder Schritte näherten, senkte sie den Kopf und starrte auf den Bildschirm.
Vor ihr wurde ein Becher mit dampfendem Kaffee abgestellt.
»Weißt du, was Schulenburg letzte Woche zu mir gesagt hat?« Bente stand vor ihr. Emma fuhr mit den Fingerspitzen den Becherrand nach und fragte leise:
»Was denn?«
Bente schob einen Schreibtischstuhl heran und setzte sich neben Emma. Sie zog ihr schmales Gesicht noch mehr in die Länge und ahmte den butterweichen Gestus des Chefs nach.
»Wenn du noch einmal scheinbar und anscheinend verwechselst, Bente, dann kannst du dir einen neuen Job suchen!«
Emma versuchte zu lächeln. Bente lachte.
»Tut mir leid mit deiner Geschichte. Jetzt ist dir dein Hauptverdächtiger gestorben, oder?«
Emma nahm den Kaffee und trank einen Schluck. Das heiße Getränk rann ihr durch die Kehle und löste den Kloß. Danke, wollte sie sagen und sagte stattdessen:
»Ich hab ja nicht gedacht, dass der Hundertjährige den Mann umgebracht hat, sondern, dass sein Sohn damit zu tun hat.«
»Die Rechtsradikalen-These kannst du vergessen, die sind draußen. Vielleicht hast du sogar Recht, und Bohmann junior hat die Faschos dazu gebracht, die Hakenkreuze zu sprühen. Aber für den Mord sind sie definitiv aus dem Spiel.«
Emma ließ den Kopf sinken.
»Nichts passt zusammen. Irgendwas hab ich übersehen.«
Bente schaute sie nachdenklich an. Sie warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich hab noch über eine Stunde, bis ich die Kinder holen muss. Erzähl mir einfach, was du weißt. Vielleicht finden wir einen neuen Ansatz.«
Und Emma erzählte. Gemeinsam gingen sie noch einmal den Abend durch, als Tom Rosenberg ermordet wurde. Bente machte sich Notizen, fragte nach, unterstrich. Sie redeten über das Zehlendorfer Bauland, das dem Großvater gehört hatte und das dann in den Besitz von Bohmann gekommen war. Als Bente von dem internationalen Haftbefehl hörte, mit dem Caro Rosenberg gesucht worden war, stutzte sie.
»Warum wurde er gesucht?«
Emma zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Meinst du, das könnte wichtig sein?«
Bente kritzelte nachdenklich auf ihrem Block.
»Möglich. Weißt du, ob der Haftbefehl hier ausgestellt wurde oder erst nach der Flucht, in einem anderen Land?«
»Nein. Wieso?«
»Wenn er hier ausgestellt wurde, dann könnten wir ihn finden.«
Bente rollte mit ihrem Stuhl an den Nebentisch und fuhr den Computer hoch. Als ihre Eingangsmaske blinkte, durchfuhr Emma das schlechte Gewissen. Bente murmelte:
»Ich hab darüber schon mal was gemacht. Internationale Haftbefehle wurden bis in die 50er Jahre in überregionalen Zeitungen veröffentlicht. Zum Beispiel im Deutschen Reichsanzeiger.«
»Und den kann man online einsehen?«
»Nein. Die alten Ausgaben stehen im Berliner Landesarchiv. Und ich kenne da eine sehr nette Archivarin. Kannst du den Zeitraum einschätzen, in dem der Haftbefehl erschienen sein muss?«
Emma blätterte in ihren Unterlagen. Was hatte der Mann aus dem Jüdischen Museum gesagt?
»Hier, warte. Carl Josef und Miriam Rosenberg wanderten im Juni 1934 aus.«
Emma schaute Bente an.
»Wenn der Haftbefehl in Deutschland ausgestellt wurde, dann muss es danach passiert sein. Wenn er noch im Land gewesen wäre,
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