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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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glaubhaft machen konnte, warum sie den Professor noch am Abend zu Hause stören musste? Sie klickte sich im Netz durch Ankündigungen seiner Vorlesungen und las ein Kurzportrait von ihm. Ganz langsam entwickelte sich ein Gedanke in ihr. Sie stand auf und ging zum Schreibtisch von Ernst. Rosenbergs Buch lag noch immer oben auf dem Stapel. Sie blätterte im Register, fand nicht, was sie suchte, und kehrte zurück an ihren Platz. Sie öffnete weitere Internetseiten, schaute in Universitätsjahrbüchern und rechnete. Kurz vor acht Uhr wählte sie seine Privatnummer.
    »Professor Waldreich? Mein Name ist Emma Vonderwehr, entschuldigen Sie, dass ich Sie so spät noch störe, ich weiß … oh danke, das ist sehr nett von Ihnen. Ich bin Journalistin und arbeite an einem Feature über die Steuerpolitik im Nationalsozialismus. Ich habe da ein paar Fragen und komme allein einfach nicht weiter.«
    Er hatte eine angenehme Stimme, versicherte ihr, dass er gerne helfe, sie solle doch morgen mit seiner Sekretärin einen Termin vereinbaren.
    »Das ist wirklich freundlich von Ihnen, aber leider muss ich das Manuskript heute noch fertig bekommen. Ich habe morgen schon die Aufnahme, und es soll doch in die gesamte ARD ausgestrahlt werden.«
    Er zögerte, und Emma betete, dass er sich mit den Vorlaufzeiten für Feature-Aufnahmen nicht auskannte.
    »Natürlich wäre es auch sehr schmeichelhaft für mich, Sie in meinem Hörfunkbeitrag zu erwähnen. Jeder weiß schließlich, dass Sie der Experte für diese Fragen sind.«
    »Landesweit, sagen Sie?«
    Emma ballte die Hand zur Faust.
    »Ja, eine Kooperation.«
    »Na gut, dann kommen Sie vorbei. Wissen Sie, wo ich wohne?«
    »Ja. Ich schaffe es in einer Viertelstunde.«
    »Wenn Sie klingeln, kann es eine Weile dauern, bis ich aufmache. Ich bin aber da. Gehen Sie nicht weg.«
    Emma bedankte sich und legte auf. Sie musste sich jetzt beeilen. Trotzdem konzentrierte sie sich noch eine Minute auf ihre Notizen.
    Ein paar ihrer Schlussfolgerungen waren Spekulationen, gründeten sich auf Jahreszahlen und Ortsangaben. Es konnte sich auch um Zufälle handeln. Und wenn er abstritt, würde sie niemals etwas beweisen können.
    Sie nahm ihre Sachen und verließ das Büro.
    Im Einkaufszentrum machten die meisten Läden gerade zu. Die Kunden standen unschlüssig in den Gängen, als wüssten sie nicht, wohin sie gehen sollten. Emma bahnte sich einen Weg an ihnen vorbei nach draußen. Auf ihrer Haut spürte sie ein wohlvertrautes Prickeln.
    Sie würde pokern müssen.

K ommen Sie herein.«
    Er schloss die Altbautür mit Nachdruck, doch sie sprang wieder aus dem Schloss. Sie hielt erst mit einem eisernen Riegel, den er davorschob. Emma registrierte, wie schwer er sich bewegen ließ. Dann drehte er sich um und ging vor ihr den Flur entlang, langsam und vorsichtig. Das rechte Bein zog er nach.
    »Hatten Sie einen Unfall?«
    Er drehte sich zu ihr um. Er trug ein Cordjackett mit Fliege, auf der Nase eine randlose Weitsichtbrille. Sein Alter war schwer zu schätzen, Emma wusste von den Unterlagen, dass er Mitte fünfzig war. Er sieht so harmlos aus, dachte sie. Der Professor zwinkerte ihr zu.
    »Kinderlähmung. Wie war das noch – Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung grausam. Ich war das abschreckende Beispiel in der Werbung.«
    »Oh, ich …«
    Er hob abwehrend die Hände.
    »Nein, ich muss mich entschuldigen.«
    An der Tür zu seinem Arbeitszimmer blieb er stehen. Viele Regale in Weiß und Chrom, reihenweise Aktenordner. Aber auch Pflanzen, ein schlichter Holztisch mit summendem Notebook, viele Fotos an den Wänden. Unter dem Fenster stand ein blau leuchtendes Aquarium.
    »Bitte setzen Sie sich.«
    Er zeigte auf einen zierlichen Sessel. Für sich selbst schob er den Schreibtischstuhl heran. Es war eine Sonderanfertigung mit einer Kunststoffablage für das Bein. Emma setzte sich. Auf einem Servierwagen stand ein gerahmtes Foto. Sie warf einen Blick darauf. Der Professor stand vor einem historischen Gebäude inmitten einer Schar junger Leute, Studenten, vermutete Emma. Er wies mit einem Kopfnicken auf das Bild.
    »Auch Juristen dürfen Exkursionen machen. Das ist gut für den Zusammenhalt. Bei mir springt keiner ab.«
    »Ihnen scheinen die Studenten wichtig zu sein.«
    Waldreich lachte.
    »Schmieren Sie mir keinen Honig um den Bart, junge Dame, ich helfe Ihnen auch so. Sie sagten, Sie beschäftigen sich mit den Steuergesetzen der Nationalsozialisten.«
    »Ja, unter anderem.«
    »Ein interessantes Feld, auch noch

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