Wer im Trueben fischt
weitgehend unbekannt. Lange Zeit hieß es, hier sei kein Unrecht geschehen, alles sei nach Vorschrift gegangen.«
Der Professor setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und legte das Bein hoch. Emma schob den Servierwagen zwischen sie und baute ihr Mikrofon auf.
»Stimmt das denn nicht?«
Waldreich besah sich interessiert das Aufnahmegerät. Dann lehnte er sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder zurück.
»In gewisser Weise schon. Die Perfidie der Beamten: Gesetze wurden geschaffen, um das Recht Einzelner zu brechen.«
»Ich habe in dem Zusammenhang von einer Reichsfluchtsteuer bei Auswanderung gelesen.«
»Das war allerdings keine Erfindung der Nazis, das hat Reichskanzler Brüning schon 1931 eingerichtet. Es herrschte Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Viele sind ausgewandert. Ihr Kapital sollten sie aber bitteschön im Land lassen. Die Nazis haben das übernommen, den Steuersatz nur beträchtlich angehoben.«
Emma kontrollierte den Pegel des Aufnahmegerätes. Sie drehte am Lautstärkeregler. Das gab ihr einen Moment Zeit sich zu sammeln. Als sie wieder hochschaute, versuchte sie, offen und wissbegierig auszusehen.
»Wenn jemand im nationalsozialistischen Deutschland auswandern wollte, was musste er dann tun?«
»Er musste einen Antrag auf steuerliche Unbedenklichkeit stellen. Wurde dem Antrag stattgegeben, bekam er einen Stempel in seinen Reisepass, den sogenannten ›Ausreisesichtvermerk‹.«
»Und mit diesem Stempel im Reisepass konnte man auswandern?«
»Zumindest noch vor dem Krieg, also bis 1939, ja.«
»Und wie wurde man steuerlich unbedenklich?«
»Man musste eine Liste mit allen Vermögenswerten vorlegen. Dass dabei nicht geschummelt wurde, überwachte der Nachrichtendienst der Steuerfahndung. Das war nun aber wirklich eine Erfindung der Nazis. Stellte jemand den Ausreiseantrag, wurde sofort das Inventar überprüft. Wir haben in den Archiven Briefe gefunden von Nachbarn und Bekannten der Antragsteller, die von teuren Servicen oder Möbeln erzählen. Eine Frau schreibt da, ihr Nachbar wolle ausreisen und habe in der Nacht das Silberbesteck im Keller vergraben. Vermutlich hoffte sie, das Zeug später selber zu bekommen.«
»Und was passierte mit dieser Liste der Vermögenswerte?«
»Nun, die Liste bekam das zuständige Finanzamt. Und das errechnete dann zusammen mit den Einnahmen vom letzten Steuerbescheid die Höhe der Reichsfluchtsteuer. Und wenn man die dann bezahlt hatte, dann bekam man in der Regel den Stempel zur Ausreise.«
»Und wenn es Juden waren, die ausreisen wollten?«
Waldreich sah sie an, sein Blick wurde wachsam. Ruhig redete er weiter.
»Nun, die Juden wurden in ganz besonderer Weise geschröpft. So gab es zum Beispiel eine Judenvermögensabgabe. Die meisten verließen als arme Schlucker das Land. Sogar wohlhabende Leute mussten sich das Geld für die Ausreise bei Freunden leihen.«
»Was passierte, wenn jemand das Land verließ, ohne zu zahlen?« Waldreich zögerte.
»Ich denke, es geht Ihnen um die Steuergesetzgebung?«
Emma lächelte ihn an. Sie registrierte, dass er genau zwischen ihr und der Tür saß. Das kranke Bein lag wie ein Schlagbaum im Raum.
»Wer Gesetze erlässt, muss auch für ihre Einhaltung sorgen. Was passierte, wenn ein Jude das Land verließ, ohne diese hohe Abgabe zu zahlen, Professor?«
Auf der Stirn des Professors erschien ein Schweißtropfen. Er stand mühsam auf und ging zum Aquarium. Als er etwas Futter hineinstreute, zitterte seine Hand. Leise sagte er:
»Dann wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn ausgestellt.«
»War das so schlimm? Die Leute hatten doch das Land verlassen?«
Waldreich drehte sich zu ihr um.
»Es gab Auslieferungsabkommen. Bis zum Krieg war Deutschland noch anerkannt, die ausländischen Behörden wussten wenig über Hitler.«
Er drehte sich zum Fenster um. In der Scheibe spiegelte sich sein Gesicht.
»Zumindest in Europa war ein Neuanfang unmöglich.«
Emma stand auf und stellte sich neben ihn. Ihre Spiegelbilder sahen sich an.
»War es das, was Tom Rosenberg von Ihnen wissen wollte?«
Es war still im Raum. Nur die Sauerstoffanlage im Aquarium sprudelte leise. Nach einer kleinen Ewigkeit sagte der Professor:
»Sein Großvater wollte unbedingt legal ausreisen. Ein Bauunternehmer mit krimineller Vergangenheit – wie sollte er da Kredite bekommen? Also gab er, was er hatte, um den Ausreisestempel zu bekommen.«
»Aber dann ging etwas schief.«
Waldreich nickte.
»Seine Großmutter
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