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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Göttlicher
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langweiligen Job nachgehen, versuchen, nicht über ihr langweiliges Leben nachzudenken, und abends zu ihren langweiligen Ehemännern bzw. -frauen nach Hause gehen. Und den Fernseher einschalten.
    Paul schiebt unterdessen seine Hand unter mein T-Shirt . Wie ich ihn liebe, diesen Moment, wenn er zum ersten Mal meine Haut berührt. Es ist immer wie das allererste Mal. Ich zupfe sein Hemd aus der Hose und lege meine Hand auf seine Brust. Das genügt, um ihm ein wohliges Stöhnen zu entlocken und dass er mich fester an sich heranzieht. Am liebsten würde ich Paul jetzt sofort alle Klamotten vom Leib reißen, aber ich spiele lieber noch ein bisschen mit unserer Lust und fingere gekonnt ungeschickt an seinem Gürtel herum. Paul nimmt mein Gesicht in beide Hände, sieht mir in die Augen (in seinen tanzen wieder die goldenen Pünktchen) und sagt außer Atem: «Bitte, schlaf mit mir, Marie!» Dann hebt er mich hoch und transportiert mich groschenromanverdächtig und anscheinend ohne dass meine 58   Kilo seinen Rücken überfordern auf die sonnenüberflutete Almwiese. Nein, kein Kuhfladen weit und breit und auch keine piksenden Silberdisteln, schließlich ist dies ein Traum! Kurz kommt mir ein Lied von Heino in den Sinn: «…   in der dritten Hütte hab ich sie geküsst, keiner weiß, was dann geschehen ist   …» O doch, ich weiß es. Die Kühe auf der Almwiese wissen es, mampfen aber diskret und schweigend weiter. Vielleicht weiß es auch ein Wanderer, sitzt jetzt still vor sich hin schmunzelnd in der nächsten Hütte und trinkt ein Weißbier auf uns.
    «Können wir nicht immer hier oben bleiben?», fragt Paul nach einer Ewigkeit und malt mit dem Zeigefinger eine Linie vonmeiner Schulter bis zur Hüfte. Ich bekomme sofort eine Gänsehaut. «Ist dir kalt?», will er wissen. Ich schüttele den Kopf und sehe ihn einfach nur an. Mein Wortschatz ist zu klein, um jetzt etwas Passendes zu sagen   …
     
    «…   und jetzt wird es 9   Uhr! Piep-piep-piiiiiiep.» Ich reiße die Augen auf und kann es nicht fassen: Ich habe eine ganze Stunde auf dem Balkon verträumt. Die Berge kann man von hier aus leider nicht sehen. Aber ich weiß, dass es sie gibt. Und sie sind schön im Oktober.

FREITAG, 11.   OKTOBER 2002 – DAS NOTFALLPROGRAMM II
    Normalerweise bin ich ja ziemlich cool. Ich meine: Ich kann einparken, bei H&M zehn Teile für 100   Euro kaufen und trotzdem aussehen, als würde ich in Design-Läden shoppen. Ich kann Männer wie Paul verführen. Ich besitze keine Diddl-Tasse, bin erklärte Gegnerin von Klofußumpuschelungen (insbesondere in Lachsrosa), weiß, was die Abkürzung DKNY bedeutet, und bestelle meine Kontaktlinsen im Internet. Ich heule nicht bei «Titanic», brauche aber ein Taschentuch, wenn in «SatC» Carrie ihrem Herzensbrecher Mr.   Big begegnet. Ich weiß, bei wie vielen Punkten der DAX im Moment steht, und kann mir, wenn es sein muss, Wodka pur in den Hals kippen, ohne zu schlucken. Ich habe einen schwulen Kumpel, der mir die besten Kneipen verrät, höre Coldplay statt Lighthouse Family und weiß, dass ich mit braunem Lippenstift aussehe, als hätte ich gerade Spaghetti Bolognese gegessen. Kurz: Ich finde mich im Grunde ziemlich klasse.
     
    Heute allerdings nicht. Gestern war ich noch stolz, dem Husten, Schniefen und Röcheln rund um mich herum widerstandenzu haben, heute hat es mich selbst erwischt. Aber wie. Vielleicht hat mir die Stunde Träumen auf dem Balkon am Dienstag nicht gut getan. Gedanken an Schäferstündchen mit Paul auf einsamen Almwiesen liegen mir momentan ohnehin so fern wie eine Teilnahme am Medienmarathon. Paul sicher auch, wenn er mich sehen könnte. Meine Augen sind klein und rot, meine Nase ist dafür umso größer. Und rot. Meine Frisur könnte man nur mit viel gutem Willen als Out-of-Bed-Look durchgehen lassen, und in meinem Kinder-Schlafanzug mit Mäusemotiven darf mich nie, niemals jemand sehen   …
     
    Doch auch für Krankheit gibt es bei Marie ein Notfallprogramm. Wenn mich schon keiner hätschelt und umsorgt, mir Sinupret aus der Apotheke holt und frischen Tee aufbrüht, will ich wenigstens so richtig in Selbstmitleid baden. Keiner kümmert sich um mich, keiner hat mich lieb. Keiner sehnt sich nach mir. Paul schon gleich dreimal nicht. Fast schon genüsslich male ich mir aus, wie er gerade mit einer attraktiven Kollegin (1,75   m groß, kastanienbraune, lange Naturwelle, Konfektionsgröße 36 und Julia-Roberts-Lächeln) flirtet. Sehe es beinahe vor mir, wie sie beim

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