Wer ist eigentlich Paul?
einstelliger Außentemperatur auf die Straße ausgewichen. Trotzdem quetschen wir uns noch irgendwie rein. Zum Glück weiß der Typ hinter der Bar, was wir trinken wollen. Bestellen wäre schwierig bei dem Krach. Oder wie stellt man pantomimisch Aperol Sour dar? Die Gläser in der Hand, versuchen wir Spaß zu haben. Hm, irgendwie schwierig heute Abend. Unterhalten geht nicht. Zu laut. Tanzen geht auch nicht. Zu eng. Flirten? Aussichtslos. Das Publikum hier sieht so aus, als würde es nächste Woche eine Ex in Erdkunde schreiben oder zumindest noch drei Scheine bis zum Vordiplom benötigen. Vroni und ich schütten wort- und tatenlos je drei Drinks runter und verständigen uns dann mit Handzeichen darauf, woanders hinzugehen.
Doch im Klenze 17, im Ododo, in der Aloha Bar und im Hit The Sky sieht’s nicht besser bzw. leerer aus. Warum müssen sich ausgerechnet heute alle Münchner im ausgehfähigen Alter rundum den Gärtnerplatz versammeln? Die sollen doch im Kunstpark Ecstasy schlucken, sich in Haidhausen um Parkplätze prügeln oder in Schwabing höhere Töchter aufreißen!
«Forum?», brüllt Vroni mir im Next Door ins Ohr. Ich schaue auf die Uhr und nicke heftig: «Ja, Happy Hour!»
Zehn Minuten später sitzen wir an der Bar des Café Forum, vor uns ungefähr 29 mit Eiswürfeln gefüllte Cocktailgläser nebst einem gestressten, aber nichtsdestotrotz wahnsinnig coolen und lässigen Barkeeper. Ich überlege ernsthaft, ob es eine Barkeeperverordnung gibt, in der geschrieben steht, dass ein Glas nicht einfach aus dem Regal genommen und hingestellt werden darf, sondern sich vorher mindestens achtmal in der Luft überschlagen haben muss?
Gegen ein Uhr vibriert Vronis Handy. Sie guckt drauf, fängt debil an zu grinsen, drückt mir 20 Euro in die Hand und murmelt einen Satz, in dem «Marc», «soooo süß» und «viel Spaß noch» vorkommt. Und weg ist sie. Verdattert starre ich meiner Freundin hinterher.
Eine Stunde später bin ich fast zu Hause angekommen. Ich hatte keine Lust auf U-Bahn -Fahren und habe die Strecke nach Neuhausen zu Fuß zurückgelegt. Nicht mal Ausgehen gelingt mir momentan. Frustriert schmiege ich mich in Vronis neuen Kuschelschal, den sie im Forum vergessen hat. Der gehört jetzt mir, als Entschädigung dafür, dass sie mich einfach sitzen lässt. Gerecht, oder?
Ich biege gerade in die Tür meines Wohnhauses, als ich Musik höre. Nicht laut, aber deutlich. Ich bleibe stehen und lausche, aus welcher Richtung die Töne wohl kommen. Ich trete zurück auf die Straße. Dann erkenne ich die Quelle der Musik. Vor meinem Haus parkt ein kleiner weißer Fiat Uno. Das Radio läuft und spielt klassische Musik, ich glaube, es ist Vivaldi, ein Konzert für Querflöte. Ich könnte nun beruhigt sein, «Na, hoffentlich springt der morgen an» denken und die drei Stockwerkezu meiner Wohnung hinaufsteigen. Doch ich bleibe, wo ich bin. In der kalten Herbstnacht stehe ich im Stockfinstern mitten auf der verlassenen Straße und lausche dem Flötenkonzert, das aus dem Fiat Uno dringt. Ich höre das Stück noch bis zu Ende.
In meiner Wohnung blinkt der Anrufbeantworter. Eine irre Hoffnung treibt meinen Adrenalinspiegel in die Höhe. Vielleicht Paul, der festgestellt hat, dass die nächste Sonnenfinsternis in Deutschland erst am 3. September 2081 stattfindet?
Es ist Vroni. Offensichtlich postkoital entspannt und ohne den Anflug eines schlechten Gewissens fragt sie, ob wir uns morgen zum Kaffee treffen wollen. Ich glaube, ich habe keine Zeit. Geschichten von Wolke sieben kann ich momentan noch weniger gebrauchen als den nervigen GE Z-Mann vor meiner Tür. Wenn die wenigstens mal knackige junge Typen einstellen würden!
MONTAG, 28. OKTOBER 2002 – UND EWIG LOCKT DER MANN
Männer sind wirklich seltsam, ich kann es nicht oft genug wiederholen. Paul zum Beispiel, mein (na ja) Paul. Unmissverständlich hatte er mir doch am letzten Freitag klar gemacht, dass meine Anwesenheit in seinem Leben momentan so erwünscht sei wie Schimmelpilz in der Parmesandose. Er habe da ein Problem, mit dem er aber selbst klarkommen müsse, drei Ausrufezeichen!!! Ich fühlte mich an ein Kapitel aus dem Buch «Warum Frauen nicht einparken können und Männer nicht zuhören» oder so ähnlich erinnert. Darin geht es um die männliche Angewohnheit, sich bei kleineren oder größeren Krisen auf einen einsamen Felsen zurückzuziehen und keinen mit raufzulassen. Als Felsen kann übrigens auch mal der Fernsehsesseldienen.
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