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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Göttlicher
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sich bisher nur nicht dazu entschließen, es mir zu sagen? Eigentlich glaube ich
das nicht. Ich habe ihn mal gebeten, ganz ehrlich zu sein und es mir sofort zu sagen, wenn er nichts mehr von mir wissen will. So unfair, die Sache einfach schweigend im Sande verlaufen zu lassen, wäre Paul nicht. Ich halte viel von ihm.
     
    Ich muss mal schnell 50   Cent nachwerfen. Wo ist nur mein Kleingeld? Ah, hier. Du fragst mich, wie ich mir das eigentlich weiter vorstelle mit diesem Paul? Wie lange ich noch warten will, bis aus dieser konfusen Affäre eine Beziehung wird? Tja, gute Frage. Ich sage mir oft, dass ich mich nicht länger hinhalten lasse von ihm, dass es ein Ende haben muss. Es gibt da nur ein Problem, ein klitzekleines: Ich kann ihm einfach nicht widerstehen. Ich bin rettungslos verloren, wenn ich seine Stimme höre oder ihm gar gegenüberstehe.
     
    Wenn ich wüsste, dass ich ihn zum Beispiel noch im März garantiert wiedersehe, könnte ich geduldig sein. Aber so? Es ist wirklich nicht leicht. Ich tue alles, um mich abzulenken, ich führe ein nach außen hin sehr erfülltes Leben, und doch denke ich andauernd an Paul. Und manchmal, wenn ich allein bin und «We’re all made of stars» von Moby im Radio gespielt wird, dann bekomme ich einen akuten Sehnsuchtsanfall und entblöde mich nicht, diesen in eine SMS zu verpacken und 160   Zeichen auf die Reise zu schicken. Dabei will ich ihn wirklich nicht nerven. Und schon gar nicht den Eindruck erwecken, klein, schwach und weinerlich zu sein, weil er sich nicht bei mir meldet. Es ist ja auch nicht so. Schau mich an, liebe Parkuhr – wie sehe ich aus? Meine blonden Haare glänzen, ich schreibe für namhafte Nachrichtenmagazine, habe viele gute Freunde, erlebe viel, alles läuft prima. Aber das ist mir wohl nicht genug.
     
    Liebe Parkuhr, das Geld geht mir aus, ich muss zum Ende kommen. Habe dich lange genug von der Arbeit abgehalten. Nein, deine Sorge um mich ist unbegründet – es geht mir gut, ich bin glücklich, dass es Paul gibt, auch wenn er meine Geduld momentan auf eine harte Probe stellt. Aber vielleicht hat er vergessen, was er verpasst? Vielleicht hat er vergessen, wie es sich anfühlt, wenn er mich küsst, wenn er seine Hand unter mein T-Shirt schiebt, wenn er meinen nackten Körper unter seinem spürt, wenn er mich berührt, wenn er in mir ist, wenn er hört, wie mein Atem schneller wird. Vielleicht hat er vergessen, wie sich meine Hände auf seiner Haut anfühlen, meine Zunge an seinem Schwanz   … Aber ich glaube eigentlich nicht, dass er es vergessen hat. Ich glaube und will glauben, dass er keine Zeit hat.
     
    Ich habe dir das alles erzählt, liebe Parkuhr, damit Paul es nicht lesen muss. Nicht dass er denkt, ich wolle ihn drängen oder mich beschweren. Er soll auch nicht meinen, dass ich mich nach ihm verzehre, leide und nur auf den Tag warte, an dem wir uns wiedersehen. So ist es ja nun auch wieder nicht. Und irgendwie ist es genau so. Aber es ist so schwer, einem Mann das multiple Denken und Fühlen einer Frau zu erklären. Da sagt man besser nichts. Wenn sie es falsch verstehen, ist man sie schnell für immer los.
     
    Falls du Paul mal triffst, falls er mal an dir parkt (er fährt einen silbernen 4er Golf, davon gibt es ja kaum welche, *g*), mach dir dein eigenes Bild von ihm. Er ist wirklich etwas ganz Besonderes. Aber verrate es ihm bitte nicht, sonst wird er noch selbstbewusster. Und das wäre nun wirklich kaum zu ertragen.
    Ich lese den Text nicht noch einmal durch. Klick. Gesendet. Die Parkuhr hat geplaudert. Und Paul kann es lesen. Ich weiß davon nichts. Zum Glück.

DIENSTAG, 4.   FEBRUAR 2003 – DAS SELTSAME VERHALTEN MODERNER GROSSSTADT-SINGLES
     
    Ach, hat das gut getan, Paul gestern diese Mail zu schreiben. Beziehungsweise mich der Parkuhr anzuvertrauen und zu wissen, dass sie es weitergetratscht hat. Endlich ist alles raus. Ein emotionaler Offenbarungseid, alles auf eine Karte gesetzt – wenn er sich daraufhin nicht meldet und mir auf Knien Sätze sagt, in denen die Worte «Traumfrau», «wie konnte ich nur», «für immer», «Liebe» und so etwas wie «Las Vegas» oder zumindest «Standesamt München II» vorkommen – dann weiß ich wenigstens, dass ich von Paul nichts zu erwarten habe und ihn endgültig aus meinem Leben streichen kann. Nicht kann, muss. Weil ich mich sonst jedes Mal in Grund und Boden schäme, wenn ich ihm begegne. Wenn es gut geht, wird meine E-Mail als mutig, beherzt und richtig in die Annalen eingehen.

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