Wer ist eigentlich Paul?
Wenn es nicht gut geht, wird sie als das grandiose Finale einer unerfüllten, tragischen Liebesgeschichte gelten.
Jetzt muss ich also nichts tun als warten. Wieder mal. Ich hasse Warten. Warten ist nämlich keineswegs passiv und schon gar nicht entspannt. Warten ist Folter. Und furchtbar anstrengend. Entweder man rennt alle fünf Minuten zum Computer und stellt die Internetverbindung her, um die Mails zu checken, oder man muss sich in hektische Aktivität stürzen, um ebendies zu vermeiden. Warten ist nur dann halbwegs erträglich, wenn man sich rund um die Uhr ablenkt und beschäftigt. Das ist ein Knochenjob.
Mein Notfallprogramm für derartige Situationen ist ja bereits hinlänglich bekannt. Ich verzichte deswegen darauf, es hier nochmals detailliert zu notieren. Auf jeden Fall beinhaltet es Pfefferminztaler, rote Gauloises, wahlweise teure Kosmetik, neue Klamotten oder sonstige Luxusartikel und natürlich meine Freundinnen.
Sehr gut, heute ist Dienstag. Sex-and-the-City-Tag. Ich werde einen Mädel-Abend organisieren. Organisieren ist super gegen Warte- und Paul-Frust. Hurra.
Aber vorher kann ich ja noch kurz meine Mails checken. Nicht, dass ich erwarte, bereits eine Antwort von Paul bekommen zu haben. Nein, nein. Aber es könnte ja sonst etwas Wichtiges eingetrudelt sein. Eine Einladung zu einer Promi-Party im Pacha zum Beispiel. Oder die Meldung von Martin, dass er sich endlich von Viola, der Schlampe, getrennt hat und jetzt dringend von mir im Café Reitschule getröstet werden will. Ich gehe mal schnell online.
Hmpf. Der GM X-Newsletter , ein Douglas-Gutschein, sensationelle Angebote für beeindruckende Penisvergrößerungen und eine Mail von einer gewissen Denise, 19, die jetzt eine Webcam ihr Eigen nennt, mich mit «Süßer» betitelt und große Sehnsucht danach bekundet, dass ich sie doch mal auf ihrer Website besuche. Ich wusste gar nicht, dass ich eine Geschlechtsumwandlung vollzogen habe. Muss über Nacht und von mir unbemerkt geschehen sein. Lösch, lösch, lösch. Verbindung zum Internet trennen? Ja. Halt. Noch schnell den Parkuhr-Account checken. Nur so.
WAAAAAAH! Eine neue Mail von Paul. Betreff: «Re: News von Marie». Schluck. So schnell hatte ich nicht mit einer Reaktion gerechnet. Meine Finger zittern, als ich die Mail anklicke, um sie zu lesen. Da steht:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin zur Zeit unterwegs und per E-Mail nicht erreichbar. Ab dem 20. 02. 2003 bin ich wieder zurück und werde Ihre Nachricht beantworten.
Okay. Ganz ruhig, Marie. Es ist kein schlechtes Zeichen, dass dein geliebter Paul dich siezt und mit «Sehr geehrte Damen und Herren» betitelt. Das ist ein Autoresponder, eine automatisch vom System generierte Mail. Er ist nicht da. Wo ist Paul? Noch in Wien? Oder schon in Stockholm? Plötzlich bekomme ich eine Gänsehaut. Wir schreiben den 4. Februar 2003. Auf den Straßen demonstrieren die Bürger für den Frieden. Die Amerikaner ziehen ihre Streitkräfte in der Golfregion zusammen. Der Irak-Krieg Nummer zwei kann jeden Moment beginnen. Und Paul hat mal erwähnt, er habe da eventuell ein Angebot, mit einem befreundeten Reporter nach Bagdad zu fliegen, um Fotos für den «Focus» zu machen. Mein Magen zieht sich zusammen. Paul ist in Gefahr. Vielleicht. Und ich kann nichts tun. Außer warten. Und hoffen, dass der Krieg erst nach dem 20. Februar losbricht. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, aktiv zu werden und ebenfalls gegen den Krieg auf die Straße zu gehen. Oder zumindest so eine hässliche regenbogenfarbene Flagge mit dem Wort «PACE» aus meinem Fenster zu hängen. Doch gleich schäme ich mich wieder für meine egoistische Denkweise. Klar bin ich gegen den Krieg. Aber mein Pazifismus ist eher passiver Art. Schon beim ersten Golfkrieg – damals war ich 16, ging in die elfte Klasse und machte mir schreckliche Sorgen, jemand könnte das Trinkwasser vergiften oder eine Bombe auf meine Schule werfen – beschränkten sich meine Anti-Kriegs-Aktivitäten darauf, mit Klassenkameraden in einem Peace-Zeichen aus Teelichtern zu sitzen, den Palästinenserschal, auch Steineschmeißertuch genannt, gerade zu rücken und «We are the world» zu singen. Und mich zu freuen, dass ich so um die anstehende Physik-Ex herumkam. Schon damals schämte ichmich ein bisschen für meine Bequemlichkeit und mein mangelndes politisches Engagement. Heute denke ich, dass ich einfach nicht mehr zur Generation derer gehöre, die ständig gegen Eltern, Schule und Staat
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