Wer ist eigentlich Paul?
ziemlich veräppelt vor. Und wo sind sie alle, meine treulosen, so genannten Freunde? Ich schaue in alle Zimmer, bis ich endlich ein paar Post-its im Flur entdecke.
«Sind noch rüber ins Lido – Max, Tom & Marlene».
«Bin heimgegangen, bis morgen – Beate».
Aha. Nur Vroni und Bernd haben keine Nachricht hinterlassen. Wo zum Teufel … Es ist vier Uhr morgens, und alle vergnügen sich, nur ich liege hier stark geschwächt auf dem Sofa und bekomme nicht mal was zu essen! Ich will heim, und zwar sofort. Ich balanciere auf der Naht des Teppichbodens im W G-Flur und beschließe, fahrtüchtig zu sein. Meinen letzten Alkohol habe ich vor vier Stunden konsumiert, also haben sich mindestens 0,4 Promille wieder abgebaut. Ich kann bedenkenlos Auto fahren.
Ich bin fast zu Hause und ziemlich sicher, keinen Radfahrer übersehen zu haben, als ich zwei unheilvolle Worte in roten Buchstaben in meinem Rückspiegel erblicke. «Stopp – Polizei». Auch das noch. Kurz überlege ich, ob eine Flucht aussichtsreich ist, doch angesichts meiner 50 PS verwerfe ich diesen Gedanken sofort wieder. Außerdem bin ich ja stocknüchtern.
«Guten Morgen! Führerschein, Fahrzeugschein, bitte!»Morgen? Die haben ein Verständnis von Zeit … aber na ja. «Bitte schön!» Schleim, schleim.
«Frau Sandmann» – auch schleim! – «haben Sie vor Fahrtantritt Alkohol konsumiert?»
«Ich? Nein, Gott bewahre!» Dezent zur Schau gestellte religiöse Grundeinstellung macht sich im katholischen Bayern in solchen verzwickten Situationen immer gut, besonders in Kombination mit weit, aber nicht zu weit (Drogenverdacht) aufgerissenen Augen.
«Wohin soll denn die Fahrt gehen, Frau Sandmann?» Na, so ganz überzeugt ist der junge Herr mit dem obligatorischen Schnauzer noch nicht.
«Nur noch einmal um die Kurve, dann bin ich daheim!», gebe ich wahrheitsgemäß Auskunft. Ich überlege, ob ich ihm vertrauensvoll erzählen soll, dass ich gerade von der Vorstandssitzung des Vereines Apfelschorle trinkender Hausfrauen komme, aber man soll es ja auch nicht übertreiben.
«Dann wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Heimfahrt, Frau Sandmann!», sagt er in leicht gequältem Hochdeutsch und tippt sich an die Mütze. Puh. Glück gehabt, flotter Käfer.
Als ich endlich im Bett liege, kann ich nicht einschlafen. Wo sind Vroni und Bernd? Und vor allem – was machen sie gerade? Warum haben sie keinen Zettel verfasst? Es ist mir ein Rätsel. Ein Rätsel, dessen Lösung mir schwant. Morgen wird Vroni sicher mit mir Kaffee trinken wollen. Und dieses postkoital schelmische Grinsen im Gesicht tragen. Nein, ich bin nicht neidisch. Ich will ja gar nichts von Bernd. Ich will nur Paul. Oder Max. Waaaaaaas? Was habe ich da eben gedacht? Ich will Sex mit meinem Ex? Bin ich noch zu retten?
Es hilft nichts, der Hunger lässt mich nicht schlafen. Der Hunger auf frei laufende Salamipizza und auf eine schöne, lange, gepflegte Nummer mit einem Mann, den ich mag und appetitlich finde. So weit bin ich schon gesunken. Ich schraube meineAnsprüche herunter. Marie, Marie, wann wirst du lernen, dass du erst ohne Mann, ohne Liebe, Sex und den ganzen Kram glücklich sein musst, bevor es mit einer Beziehung klappt? Den Hunger zumindest kann ich abstellen.
Es ist traurig und komisch zugleich. Ich, Marie, der flotte Käfer aus dem Klenze 17, allein und im Stich gelassen von Möchtegern-Liebhaber, Exfreund, Kumpels und Freundinnen, stehe um halb fünf Uhr morgens angetan mit einem Tchibo-Pyjama in meiner Küche und koche Mengen an Spaghetti, die eine ganze Woche für mich reichen werden. Wer war das noch gleich, der diese Angst hatte, eines Tages von Schäferhunden angenagt in der Wohnung aufgefunden zu werden? War das Bridget Jones oder Cora Hübsch? Egal. Kann mir nicht passieren. Die Schäferhunde hätten genug Spaghetti, um sich satt zu fressen.
MONTAG, 3. FEBRUAR 2003 – LIEBE PARKUHR!
Ich muss etwas tun. Sonst werde ich wahnsinnig. Das Schlimme daran ist, dass mein Wahnsinn sich nicht äußert. Er innert sich sozusagen in mir, und keiner bemerkt, dass ich schon fast am Rad drehe. Ich erledige effektiv, zuverlässig und auf hohem Niveau meine diversen Jobs, schreibe freiberuflich tolle Artikel und habe neulich sogar meinen ersten Auftrag für ein Nachrichtenmagazin bekommen, dessen Grafiker am liebsten Tabellen und Balkendiagramme basteln. Wenn ich nicht arbeite, sitze ich mit meinem Notebook in der StaBi, ignoriere tapfer die Anbandelversuche des
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