Wer ist hier der Schlaumeier?: Skurrile Geschichten von Hunden und ihren Menschen (German Edition)
ganz genau, dass ein Kangal eine Herausforderung war. Auch hatten die Familienmitglieder bereits Erfahrung mit großen Hunden, wie sie glaubten. Ihr letzter, leider verstorbener Vierbeiner war schließlich ein Berner Sennenhund gewesen … Diese sehr sympathischen Menschen riefen mich nun an und baten um meine Hilfe. Sie hätten Angst vor ihrem Hund und suchten nach einer letzten Chance für sich und den Kangal, bevor sie ihn weggeben müssten.
Was war geschehen? Eigentlich verliefen das Welpenalter und die Jugend unseres Kangals völlig normal, er hatte ein schönes Zuhause, besuchte eine Hundeschule und wurde ein Familienmitglied. Genauso, wie es geplant war. Nur entwickelte der Rüde mit zunehmendem Alter immer mehr den Drang, das Haus der Familie zu bewachen. Jedes unbekannte Geräusch, jedes fremde Lebewesen, welches sich im Bereich der Haustür und deren Sichtfeld aufhielt, jedes Ereignis, was sich dort abspielte, wurde gnadenlos verbellt. Die belesene und gut vorbereitete Familie war jedoch auf Schwierigkeiten mit ihrem Herdenschutzhund eingestellt. Konsequent hielt sie sich an die Ratschläge, die sie bekommen hatte: Ein Hund müsse immer wissen, wer der Boss ist. Und dieser müsse sich gnadenlos durchsetzen, sonst wäre der Hund eine Gefahr.
Eines Tages bellte der Hund wieder an der verglasten Haustür, weil er einen anderen Vierbeiner sah, der ein potenzieller Feind für ihn hätte sein können. Der Besitzer des Kangals wollte seinem Hund zeigen, wer der Herr im Hause ist. So, wie es ihm geraten worden war. Er ging zu dem Tier, schrie es an und hielt ihm die Schnauze (!) zu. Das ließ sich der große, starke Hund natürlich nicht gefallen – er schüttelte den Mann einfach ab und knurrte einmal in die Richtung seines Besitzers. Als dieser dann aus Angst vor der Bedrohung verschwand, widmete sich der wachsame Vierbeiner wieder seiner Hauptaufgabe, die darin bestand, den fremden Hund zu verscheuchen. Von dem Tag an durfte sich kein Familienmitglied mehr dem Kangal nähern, während er an der Tür bellte. Auch sein Besitzer hatte inzwischen ernsthaft Angst vor dem Tier. Sein Versuch, sich durchsetzen, indem er dem Hund die Schnauze zugehalten hatte, war fehlgeschlagen, denn ein direkter Kräftevergleich zwischen Mensch und Kangal kann nicht funktionieren. Ich persönlich möchte keinen Hund dieser Rasse zum Feind haben …
Die Lösung eines solchen Problems ist denkbar einfach. Man kann auch ohne körperlichen Einsatz und ohne Kampf mit seinem Hund ein harmonisches Miteinander herstellen. Der Hund braucht dafür aber Besitzer, zu denen er aufschauen und die er achten kann. Hunde, aber auch Wölfe und alle Hundeartigen, die in einem größeren sozialen Verband zusammenleben, sind von Natur aus so angelegt, dass sie ein souveränes, vertrauensvolles Familienmitglied als Rudelführer anerkennen. Und das ist nun mal derjenige, auf dessen Aktion mehrheitlich reagiert wird. Auf die Beziehung zu unseren Haushunden übertragen heißt das, dass wir nicht immer sofort darauf eingehen sollten, wenn der Hund etwas möchte. Stupst er uns mit der Nase an, ist es nicht ratsam, ihn jedes Mal zu streicheln; kratzt er an der Tür und bringt uns seine Leine, sollten wir nicht gleich die Tür öffnen und mit ihm Gassi gehen. So putzig seine Aktionen auch ausschauen mögen – letztlich gibt der Hund uns damit die Befehle. Und erlebt er uns immer nur als ausführendes Organ, übernimmt er schließlich die Führerrolle. Wir müssen also lediglich viele seiner Aktionen ignorieren und ihnen keine Beachtung schenken, um als Chef anerkannt zu werden. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass wir unseren Hund nicht mehr streicheln dürfen. Nur eben nicht grundsätzlich, wenn er es befiehlt. Im Gegenteil: Wir agieren. Wir rufen ihn heran und der Hund kommt, um dann von uns gestreichelt zu werden. Wir zeigen, wo es langgeht. Wenn das mehrheitlich so ist, können wir natürlich auch mal auf eine Aufforderung unseres Hundes eingehen, ohne dass dieser das Vertrauen in unsere Führungsqualitäten verliert.
Seit die Familie des Kangals sich anders verhalten hat, hat das Tier Vertrauen zu seinen Besitzern gefasst und nimmt sie ernst. Der Hund kann jetzt auch problemlos abgerufen werden, wenn er an der Tür bellt – er weiß ja nun, dass sein Herrchen die Situation im Griff hat. Das gewünschte Verhalten kann dabei gern durch eine Futtergabe unterstützt werden. Aber als der Besitzer seine Interessen noch gewaltsam durchsetzen wollte,
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