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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Möbelstück in Lewadskis Suite.
    Lewadski zieht sein Taschentuch, das aussieht wie eine zertrampelte Ziehharmonika, aus der Hose und trocknet sich die Stirn. »Eine Geschichte geht mir nicht aus dem Sinn, Habib. Es ist lange her. Mit meiner Mutter war ich auf dem Weg nach Hause. Manchmal trafen wir auf einen Bauern, der uns aufsein Elchgespann aufsitzen ließ. Je weiter wir kamen, umso weiter wurde der Augenaufschlag der Bauern, die uns mitnahmen. Aus Elchen wurden magere Ackergäule. Aus Sommer wurde Winter. Auf dem eisigen Dach eines Zuges sind wir auch mitgefahren, meistens jedoch gingen wir zu Fuß. Wir gingen die verschneiten Gleise entlang, eingewickelt in die Pelze von Nutztieren, die wir in einem Kolchos großgezogen, gefüttert und dann gehäutet hatten. Wir wussten, es steht uns ein langer Weg bevor, quer durch Eurasien, verstehen Sie, was das heißt? Da war ich in Ihrem Alter. Allerdings die Hälfte von Ihnen. Gegessen haben wir in der Verbannung nicht viel, dafür aber gesund. Hauptsächlich Stutenmilch und Käse. Ich nehme an, die Zähne sind mir deswegen erst im hohen Alter ausgefallen und nicht schon mit Fünfzig wie meinen Kollegen.«
    Lewadski fährt sich mit der Zunge über den Gaumen, als zählte er die Rippen. »Als wir so den Gleisen folgten, hörte ich ein Geräusch. Ein Leitschwan hoch in den Lüften zählte seine Mannschaft, indem er mit wildem Trompetenlaut jeden Einzelnen beim Namen rief. Als ich gerade den Kopf zum Himmel hob, flog einer der Schwäne in eine Starkstromleitung. Wie eine Sternschnuppe sah ich ihn fallen, nur viel schneller. Meine Mutter schrie auf, die Schwäne flogen, als wäre nichts geschehen, in Keilformation weiter in die Arktis zum Brüten. Nach langem Suchen fanden wir den Schwan in einem sumpfigen Feld. Ein blutiger Knochen ragte aus seinem Gefieder. Wie ein bleicher Page mit einem plumpen Holzdegen sah er aus. Wir kamen näher, und der Schwan schleppte sich mit angst- und schmerzverzerrtem Gesicht immer weiter, immer weiter von uns weg. Wir hatten nicht vor, ihn zu fangen. Ihn zu heilen war unmöglich, doch etwas zwang uns, dem Tier zu folgen, respektvoll, langsam, so dass er die Möglichkeit hatte zu fliehen. Warum wir damit den Vogel quälten? Weil wir verzaubert waren. Es war, wenn ich so sagen darf, einer der friedlichsten Momente meines Lebens. Wie soll ich es erklären?«
    »Ihre Geschichte erinnert mich an die letzten Tage meines Vaters«, räuspert sich Habib. »Da merkte ich, dass er sich zum Sterben bereit macht. Ein ähnlicher Zauber war es, ein ähnlicher Frieden. Seine Teilnahmslosigkeit bekam von einem Tag auf den anderen eine neue Dimension. Während er starr vor mir lag und ich ihm vorlas, hatte ich das Gefühl, meine Worte fallen nicht wie gewöhnlich in einen Brunnen, sondern prallen gegen eine Teppichwand. Da wurde mir klar, mein Vater hört nicht mehr zu. Er hat es nicht mehr nötig. Meine lebendige Stimme hat er nicht mehr nötig und das lebendige Wort. Gerne wäre ich beleidigt oder wenigstens traurig gewesen, doch etwas Größeres ließ dieses kleinliche Gefühl nicht zu. Nun weiß ich: Es war der Zauber des Abschieds, ein Versprechen, das sich fern von dieser Welt erfüllen wollte. Und dass dieses Versprechen mir hier und jetzt nichts nützen würde, war ein erhebendes Gefühl. Erhebender als das, was wir Liebe nennen.«
    »Ich nehme an, es ist dasselbe.« Wolken von Zärtlichkeit treiben über Lewadskis feuchtes Auge. Er sieht den Schwan mit leicht geöffnetem gelbschwarzem Schnabel und unter den Arm geklemmtem Holzdegen. Ein Wimpernschlag, und schon schleppt sich der Vogel weiter über das Feld. »So erhebend kann nur die Liebe sein. Da bin ich mir ganz sicher. Liebe um ihrer selbst willen. Vielleicht haben Sie recht, Habib. Was ist schon ein Name? Ja, was ist schon ein Name, schließlich meinen wir immer nur das Eine. Wir meinen es gut, nicht wahr?«
    Habib nickt und rückt seine Kappe, die ohnehin perfekt aufseinem Kopf sitzt, mit einem leisen Räuspern zurecht. »Mein Name zum Beispiel heißt so viel wie mein Lieber, aber ich denke nicht daran, wenn ich meinen Namen höre. Habib hier, Habib da. Ich weiß, dass man es gut mit mir meint. Auch wenn ich Stock oder Dummkopf hieße, würde es mich nicht beirren.«
    »Sie sind ein guter Mensch, mein lieber Habib. Stört es Sie, wenn ich Sie so nenne?«
    »Nein, warum?«
    »Weil es eine Verdoppelung ist wie süßer Zucker.« Noch einmal berühren Habibs Fingerkuppen die Kappe auf seinem Kopf. Je

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