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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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hummelgroßer Kolibri hat in seinem Leben nichts erfunden und sich selbst in einem langen Prozess bis an die Grenzen unserer Vorstellungskraft perfektioniert. Fünfzig Flügelschläge pro Sekunde! Da können wir nur mit den Ohren wackeln. Aber ich rede nicht von Äußerlichkeiten. Es geht um die Art, um die Art des Seins.« Mit silbern plätscherndem Blick scheint Habib hineinzusickern ins Wesen der Dinge, die er nicht versteht.
    »Geblendet muss ich gewesen sein, die ganze Zeit zu glauben, wir seien anders als die Vögel. Mag sein, wir haben den Kühlschrank und das Telefon erfunden – vielleicht war das ein nötiger Umweg. Auf diese Art haben wir einen großen Bogen um den Baum des Lebens gemacht, aus dem wir gestürzt sind und zu dem wir hoffentlich zurückkehren werden. Vielleicht musste es wirklich so sein.« Lewadskis Stimme zittert.
    »Gut Ding will Weile haben«, sagt Habib und zuckt mit den Schultern.
    »Nun stehen wir wieder da, vor dem Zauberbaum, die Letzten Vertreter der Evolutionslinie der Hominiden. Wir sind so einsam, Habib.«
    »Sie sind nicht einsam.«
    »Wir sind so einsam, so furchtbar einsam. So wie die Pferde, die die letzten Vertreter der Equiden sind, kein Wunder, dass wir uns mit dem Pferd verbrüdert haben. Wir sind die Letzten.«
    In Habibs Augen prallen gigantische Eisschollen aneinander. Eiskristalle blitzen wie Dolche. Mit einem Seufzer lässt Habib seinen Kopf auf die eigene Schulter sinken.
    »Bedenken Sie, Habib, bedenken Sie, zu allen Zeiten hat es gleichzeitig mehrere Menschenarten gegeben. Neandertaler und Cro-Magnon-Menschen und viele andere, weiß Gott,wie viele es wirklich waren. Nun sind wir allein. Seit fast 35 000 Jahren allein.«
    »Nicht allein, nicht ...«, stöhnt Habib.
    Lewadski blickt in Habibs rundes Gesicht. Krächzend schleppt sich der Schwan mit dem Holzdegenschnabel und dem Pagen auf dem Arm an den Rand der Eisscholle.
    »Wir sind die einzigen Überlebenden unserer Ahnenreihe, Habib, eine vorübergehende Erscheinung auf Erden.« Apathisch reibt Habib seine Wange an der gepolsterten Schulter des Butlerfracks. In der À-la-Liszt-Frisur des Schwans spielt der Wind. Reglos steht das Tier am Rand der Eisscholle und klappt lautlos den hölzernen Schnabel auf und zu, als würde es beten. Der Flügel, auf dem der Page schläft, ist ein blutiger Knochen.
    »Nicht allein ...« Lewadski hört Habib heiser dem Meereswind trotzen. »Was ist schon ein Name? Sie haben doch selbst gesagt, der Name ist nichts. Nicht wir tragen den Namen, sondern er trägt uns.« Habibs Stimme geht im Möwengeschrei unter.
    »Ach, Habib, Sie sind ein goldiger junger Mann, Sie haben recht. Ob Hominiden oder Equiden, das sind nur Namen, nicht wahr.« Lewadski nickt und schüttelt eine kleine Eisscholle ab, die ihm die Sicht nimmt. Eine und noch eine. »Wenn ich an die Zentauren und Sphinxen denke, an die Mythologie, in der Menschen und Tiere eins waren ... das alles hat einen wahren Kern. Im Grunde ist die Definition des Tieres eine Schnapsidee. Dass es ein niedriges Wesen, eine Sache ist, ein Nicht-Mensch. Höchste Zeit, dass wir diese jahrtausendalte anthropozentrische Denkweise ablegen. Der Himmel soll erhaben sein? Dass ich nicht lache.« Lewadski lacht und verschluckt sich.
    »Das Paradies«, die Stimme des Butlers ist eine Bachforelle,»war immer von Tieren belebt«, eine Bachforelle im Bauch einer Schlange, »gehen Sie ins Museum, wenn Sie mir nicht glauben.«
    Als flinkes Flüsschen ringelt sich die Schlange um Lewadskis Försterhütte, schmiegt sich an die Füße der Mutter, an die roten Schuhe mit Schnalle, die rostig oder golden ist, geblendet vom Wasser kann Lewadski es nicht erkennen.
    »Im Museum kann man sich überzeugen, dass das irdische Paradies von den Malern aller Zeiten und Völker immer gleich dargestellt wird: Es ist mit Tieren belebt.«
    Lewadski neigt lächelnd seinen Kopf zur Seite. »Ins Museum werde ich nicht mehr gehen, Habib. Ich glaube Ihnen.«
    Chemotherapie und Bestrahlung zur Lebensverlängerung (einige Monate) empfohlen. Starker Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber, Metastasen, Schwächegefühl. Im fortgeschrittenen Stadium: Metastasen in Hirn, Leber, Skelett; Skelettschmerzen. Morphium, Tablette oder Schmerzpflaster, Fentanyl, Methadon.
    Was soll ich damit?
    Sie haben die Wahl.
    Ich habe nichts.
    Mir fehlt nichts. Keine Beschwerden, nichts. Ich fühle mich kaum. Ich bin eine Feder, könnte ich sagen. Nun weiß ich, was mausern heißt, Herr Doktor. Am eigenen

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