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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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bewegen.
    »Weil sie morgen abreisen. Und wieso hast du etwas dagegen, daß sie heute abend kommen?«
    »Ich hatte etwas anderes vor«, erwiderte Estelle ausweichend.
    »Oh? Was denn?«
    »Nichts Besonderes.« Sie wartete in der Hoffnung, Olivia werde sie mit Fragen bestürmen. Als das nicht geschah, fügte sie hinzu: »Charlotte möchte mit mir in ihrer neuen Kutsche ausfahren, wenn du es genau wissen willst …«
    »Hat die Spazierfahrt auch etwas mit Clive Smithers zu tun?«
    Estelle wollte heftig den Kopf schütteln, aber die Brennschere und die Lockenwickler hinderten sie daran. »Vielleicht.«
    »Ist die eingebildete, unausstehliche Miss Smithers deshalb auf einmal deine Busenfreundin?« Estelle hüllte sich in ominöses Schweigen, und Olivia fuhr fort. »Du könntest ja deine Mutter fragen, ob du dich für heute abend entschuldigen darfst …«
    »Ach du liebe Zeit, und du glaubst wirklich, sie würde es mir erlauben? Mama mag Clive nicht. Sie hält ihn für einen Draufgänger, weil er Polo spielt. Sie findet, ich sollte zu Hause sitzen und mich nach John verzehren – wie langweilig!«
    »Das solltest du auch, teuerste Cousine, wenn du es wirklich ernst mit ihm meinst.«
    »Wenn er es ernst mit mir meinen würde, hätte er mich mit nach London genommen! Er kann nicht erwarten, daß ich ein Jahr lang wie eine Nonne lebe!«
    Olivia lächelte. »Nonnen gehen nicht auf Partys und lassen sich mit der Brennschere Locken machen!«
    Estelle warf den Kopf zurück, und zwei Lockenwickler landeten auf dem Boden. »Also, ich werde nicht auf die Spazierfahrt verzichten, und Mama wird nichts davon erfahren. Ich schleiche mich durch die Hintertür hinaus.«
    »Das ist nicht richtig, Estelle. Es wäre falsch, deine Mutter zu täuschen …« Olivia mußte schlucken und wurde rot. Wie konnte sie jemandem fromme Ratschläge geben?
    In dem einsetzenden Schweigen rutschte Estelle unruhig hin und her. Sie griff nach Olivias Hand und fragte: »Sag mal, ist irgend etwas, Oli?«
    »Mit mir?«
    »Ja, mit dir! Du läufst schon die ganze Woche so verstört wie ein verirrtes Huhn herum. Was ist denn los? Waren es die Ausritte mit Freddie?«
    Olivia beugte sich vor und legte die Brennschere auf den Ofen.
    »Nein.«
    »Der Brief von deiner Freundin Mrs.MacKendrick? Hast du wieder Heimweh?«
    »Ja.«
    Estelles Aufmerksamkeit hielt erfreulicherweise nicht lange an. Ihre Gedanken kreisten selten um etwas anderes als um die eigenen Sorgen. »Wenn ich erst einmal von zu Haus weg bin, werde ich nie Heimweh haben. Dann muß ich wenigstens nicht mehr eine Erlaubnis zu einer harmlosen Spazierfahrt einholen!«
    Als Estelle frisiert war, erschien Munshi Babu. Auf Olivias Bitte hatte Sir Joshua veranlaßt, daß einer seiner Angestellten ihr Unterricht in Hindustani gab. Er kam seit einer Woche, und das bot ihr eine Möglichkeit mehr, Abwechslung in die leeren Tage zu bringen. Ansonsten schrieb sie mit wahrer Leidenschaft Briefe und stürzte sich auf Bücher. Sie las alles, was ihr in die Hände fiel – die packenden Romane von Charles Dickens, die Biographien von Lord Clive und Warren Hastings, eine Geschichte der Entwicklung Kalkuttas zur Handelsmetropole, und die Werke von Thomas Paine, die sie bereits kannte. Außerdem gab es die langweiligen morgendlichen Ausritte mit Freddie, mit denen sie sich inzwischen resigniert abgefunden hatte. Da sie nicht allein ausreiten durfte, war Freddies Gesellschaft ein einigermaßen erträglicher Kompromiß. Er stellte absolut keine Forderungen an sie, sondern war völlig mit ihrer Anwesenheit zufrieden. Er willigte sogar ein, den Basar in Kumartuli zu besuchen, wo geschickte Inder Hunderte von Statuen für das Durga-Fest und für die rituelle Versenkung im Hooghly anfertigten, mit dem das zehntägige Fest zu Ende ging.
    Olivias Versuche der Selbsttäuschung waren nur zum Teil erfolgreich. Es gelang ihr nur vorübergehend, den Schmerz, die Selbsterniedrigung und die quälende Demütigung zu vergessen. Häßliche Wesen bevölkerten ihre Träume und machten die Nächte so unerträglich wie die Tage. Sie haßte Jai wegen seiner Gefühllosigkeit, aber sich selbst haßte sie noch mehr, weil sie erlaubt hatte, daß er sie diese Gefühllosigkeit ungestraft spüren ließ. Doch wenn sie daran dachte, was alles unausgesprochen geblieben war, glühten im Dunkel der Verzweiflung auch Hoffnungsschimmer. Sie erinnerte sich an den Einklang ihrer Gefühle und an die stummen leidenschaftlichen Blitze in seinen Augen. Und sie

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