Wer Liebe verspricht
war wie vom Donner gerührt. Sie sah ihn entsetzt an. Dann überkam sie langsam ein schrecklicher Schmerz.
»Ich meine es wirklich, Olivia.« So gelassen wie er das sagte, hätten sie über Segelschiffe reden können. »Ihre Tante hat eine kluge Wahl für Sie getroffen. Birkhurst ist vielleicht ein Dummkopf, aber er ist ein anständiger Mensch. Er wird gut zu Ihnen sein.«
Seine Worte verwundeten Olivia tief. »Wie können Sie, gerade Sie mir einen so unmöglichen, ungeheuerlichen Rat geben …?« fragte sie leise und tonlos. Sie wußte kaum, was sie sagte.
»Das kann ich, weil ich ein unmöglicher, ungeheuerlicher Mensch bin.«
Olivia stand auf und trat vor ihn. »Brüsten Sie sich nicht ständig vor mir mit Ihrem schlechten Ruf, als sei es ein … Orden für besondere Verdienste! Ich habe es satt, mit anzuhören, wie Sie Ihre Schlechtigkeit besingen und sich bei jeder Gelegenheit selbst schlecht machen. Ihr Ruf ist mir vollkommen gleichgültig …«
»Wenn es so ist«, erwiderte er ungerührt, »warum halten Sie dann unsere Zusammenkünfte vor Ihrer Familie und allen anderen geheim?«
Angesichts seiner zunehmenden Distanziertheit vergaß Olivia alle Vorsicht. »Und was ist mit dem … wunderbaren Band zwischen uns?« fragte sie erbittert. »Und trotz der Übereinstimmung soll ich Freddie heiraten?«
»Nicht trotz«, er zog sich noch weiter von ihr zurück, »sondern gerade deswegen. Bei Freddie sind Sie in Sicherheit.«
»Vor wem?«
»Vor mir«, sagte er freundlich. »Ich werde Ihnen weh tun, Olivia.«
Sie ballte die Fäuste. » Weshalb bekomme ich das ständig zu hören? Weshalb sprechen Sie in Rätseln?« Unwillkürlich stiegen ihr die Tränen in die Augen.
»Es sind Rätsel, weil Sie nun einmal stehen, wo Sie stehen.« Er blieb unnachgiebig und kalt. Er ließ sich von ihrer Qual nicht rühren.
»Und wo genau ist das bitte?« Kurz blitzte in ihr die Warnung auf, daß sie ihre Würde verlor, sich vor ihm entblößte und schrecklich erniedrigte, aber sie konnte nicht aufhören. Aus einem unverständlichen Zwang heraus schonte sie sich nicht.
»Sie stehen mir im Weg.«
Die Freundlichkeit, mit der er diese fünf Worte aussprach, war grausamer als hundert Peitschenhiebe. Olivia war sprachlos.
Ich stehe ihm im Weg?
Er richtete sich auf, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging in der Kabine auf und ab. »Es stimmt, ich habe Sie heute morgen durch eine List hierher gelockt. Das hätte ich nicht tun sollen. Es war ein Fehler.« Er ging schneller, und die Knöchel seiner Finger wurden weiß, so fest preßte er die Hände zusammen. »Aber wenn es um Sie geht, Olivia, verliere ich offenbar mein Urteilsvermögen. Ich handle unüberlegt und falsch. Das verstehe ich nicht, und es gefällt mir nicht. Es … verwirrt mich.« Er stieß die Worte ruckhaft hervor, als sei er unsicher. Diese Unsicherheit spiegelte sich auch in seinen Augen.
In Olivia bäumte sich alles auf. Sie wollte ihm die kalte Maske abreißen. Sie wollte ihn zwingen, die hinterhältige, feige Rüstung abzulegen und ihr seine Seele zu zeigen, so wie er sie dazu gezwungen hatte. Aber ihr fehlte der Mut. Sie faltete die Hände und senkte den Kopf. »In Ihnen gibt es dunkle Zonen, die ich ergründen muß, Jai …«, sagte sie mit zitternder Stimme.
»Dorthin darf ich Sie nicht lassen, Olivia.«
»Schließ mich nicht aus, Jai – jetzt nicht mehr!« Sie verzichtete auf alle Konventionen und hielt sich den Rückweg nicht mehr offen. Aber darauf kam es jetzt nicht mehr an, denn er wußte ohnehin alles.
»Ist es wegen … Sujata?«
»Sujata?« Flüchtiges Erstaunen ließ seine Augen groß werden.
»Nein, es ist nicht wegen Sujata. Es ist nichts, was ich dir begreiflich machen kann.« Plötzlich schlug er so heftig mit der Faust auf den Sekretär, daß ein Tintenfaß hochsprang und dunkelblaue Tropfen auf ein Blatt Papier fielen. »Stell mir keine Fragen mehr, verdammt noch mal! Ich kann und will dir keine Antworten geben! Kannst du das nicht begreifen?« Seine silbrigen Augen wurden aschgrau vor Zorn.
»Deine Neugier ist wie eine … eine Krankheit. Ich finde das unanständig! Hörst du – unanständig !«
Es herrschte Schweigen. Am anderen Ende der Kabine hielt sein heftiges, lautes Atmen Schritt mit dem Ticken einer schönen Schiffsuhr aus Messing. In den Mauern des Argwohns und der Feindseligkeit, die sie trennten, zeigte sich keine Bresche. Olivia war leichenblaß. Ihre Augen blickten so leblos, wie sie sich fühlte.
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