Wer Liebe verspricht
Mit einem Seufzer stand sie auf und versuchte, die lähmende Starre abzuschütteln. »Ich muß jetzt gehen.«
Er fluchte wieder leise und kam zu ihr. »Mein Gott!« murmelte er sanft, »weine nicht.«
Sie hatte die Tränen nicht bemerkt. Stumm wischte sie sich die Wangen ab. »Es ist schon spät. Ich muß gehen.« Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Plötzlich berührte er ihr Gesicht. »Ich kann es nicht ertragen, dich weinen zu sehen.« Er machte eine hilflose Geste und strich ihr mit den Fingerspitzen behutsam über die Augen. »Wären wir uns doch nie begegnet, Olivia …«
»Ja«, flüsterte sie, ohne nachzudenken. Sie empfand nichts, aber die Tränen stiegen ihr wieder in die Augen.
Er nahm sehr sanft ihre Handgelenke und zog sie an sich. »Mein Gott, wie verwundbar du bist!« Seine Stimme bebte, und zum ersten Mal stand Sorge auf seinem Gesicht.
Sein Atem trug die liebevollen Worte und begrub sie in ihren dichten Haaren. Sie spürte seine warmen Lippen auf ihrem Kopf und erzitterte. Mit geschlossenen Augen und bebendem Körper preßte sie sich an ihn und drückte ihm die Lippen auf den Hals. Seine Halskette mit dem Anhänger schob sich zwischen ihre Lippen. Sie spürte die Kälte des Metalls, aber der Geschmack seiner salzigen Haut elektrisierte sie. Er murmelte etwas an ihrer Schläfe. Es klang wie das Summen der Bienen an einem Sommertag, wie ein einschläferndes Lied in dem Traumbereich zwischen Illusion und Wirklichkeit. Sie achtete nicht auf seine Worte.
»Ich habe keine Antwort für dich, mein unschuldiges Opfer …«
Opfer.
Unbemerkt drang das Wort durch ihr Bewußtsein wie Tau, der sich durch Sonnenstrahlen in Dunst verwandelt und aufsteigt. Seine Nähe, die Wärme seines Körpers und die zitternden Finger, die leicht wie Federn ihre Haut berührten, berauschten sie. Die schmerzliche Erinnerung war weggewischt wie ein lästiges Spinnennetz. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der sich in den Sturm gewagt hatte und in sein Nest zurückgekehrt war, das er nie hätte verlassen dürfen. Eine Sekunde oder eine Ewigkeit vergingen – Olivia wußte es nicht, denn die Zeit war versteinert. Dann löste er mit großer Zärtlichkeit ihre Hände von seinem Nacken und drückte Olivias Arme behutsam zu beiden Seiten ihres Körpers nach unten. Flüchtig nahm er ihr Gesicht in seine Hände und streifte ihre Lippen mit seinem Mund.
»Jetzt mußt du gehen.«
Aufgeschreckt aus der Verzauberung schlug Olivia die Augen auf. Er löste sich von ihr körperlich und in Gedanken. Noch ehe ihr Blick sich auf sein Gesicht richten konnte, hatte er sich wieder vor ihr verschlossen. Stumm führte er sie aus der Kabine und brachte sie durch den Gang auf Deck. Seine undurchdringlichen Augen blieben ausdruckslos. Die Lippen waren versiegelt. Wieder standen sie sich gegenüber, und zwischen ihnen gähnte ein Abgrund, über den keine Brücke führte. Die Sekunde oder die Ewigkeit in der Kabine mochte ebenso gut nur ein Traum gewesen sein.
»Bahadur wird dich zu deinem Pferd zurückbringen und nach Hause begleiten.« Seine Stimme klang tonlos. Die Sonne in seinem Rücken blendete sie, und sein Gesicht lag im Schatten. Aber Olivia wußte, selbst wenn sie es gesehen hätte, seine Züge hätten ihr nichts verraten. »Olivia, ich werde dich nicht wiedersehen.«
Noch ehe sie die Strickleiter betrat, hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen. Er hatte sie nicht mehr berührt – nicht einmal mit den Augen.
*
»Also, was meinst du – Creme Caramel oder Trifle?« Lady Bridget studierte mit nachdenklich gefurchter Stirn ihr Rezeptbuch.
»Beides«, erklärte Estelle ohne zu zögern, »wenn man an Lady B’s Appetit denkt, dann unbedingt beides. Sie … auuu!« Der Schmerzensschrei galt Olivia, die mit der Brennschere hinter ihr stand.
»Willst du mir die Kopfhaut versengen?« Olivia flüsterte eine unhörbare Entschuldigung.
»Ja, das ist keine schlechte Idee.« Lady Bridget klappte zufrieden das Rezeptbuch zu und stand auf. »Wir werden Lammrücken haben – natürlich ist es kein Lamm, sondern das schreckliche Ziegenfleisch, das so streng riecht. Vielleicht bekomme ich auch eine gute Keule. Der Bengal Club hat einen vernünftigen Stiltonkäse, wenn man nach dem Anlegen eines Schiffs schnell genug ist …« Sie redete weiter und verließ das Zimmer.
»Diese langweilige Lady B!« sagte Estelle verdrießlich. »Warum müssen sie gerade heute kommen?« Sie wiederholte die Frage, um Olivia zu einer Antwort zu
Weitere Kostenlose Bücher