Wer Liebe verspricht
Tier erstarrte bei ihrem Näherkommen und richtete seine seltsamen Spinnenaugen auf Olivia. Offenbar war sie von dem Besuch nicht erfreut. Die beiden beobachteten sich eine Weile stumm, und Olivia mußte lachen. »Keine Angst, kleine Spinne, ich werde dein Werk nicht zerstören!« Die Spinne schien sie zu verstehen, denn sie drehte ihr den Rücken zu und machte sich wieder an die Arbeit.
In diesem Augenblick hörte Olivia Hundegebell.
Es wurde lauter und lauter und schien in ihre Richtung zu kommen. Vielleicht war es ein friedliches Haustier, das seinen Herrn auf einem Morgenritt begleitete, aber es konnte natürlich auch ein Streuner sein, der krank oder sogar tollwütig war. Tante Bridget hatte ihr eingeschärft, sehr vorsichtig zu sein. Olivia überließ die Spinne sich selbst und wollte sich schnell wieder in den Sattel schwingen, aber es war zu spät. Der Hund tauchte aus dem Unterholz auf, und Olivia blieb erschrocken stehen.
Das große, schwarze Tier sprang aufgeregt um sie herum, aber offenbar nicht in feindseliger Absicht. Dann beschnupperte der Hund eingehend ihre Füße und die Reithose, öffnete das Maul und ließ etwas fallen – es war etwas Weißes. Schließlich setzte er sich auf die Hinterbeine und winselte.
Olivia wurde es flau im Magen. Sie erkannte den Hund und wußte, was er gebracht hatte. Es war Akbar, Jais Wächter, und vor ihr im Gras lag ein weißes Spitzentaschentuch, das sie auf der Ganga hatte liegen lassen.
Sie sprang in den Sattel, stieß Jasmine die Hacken in die Seite und folgte Akbar, der, überglücklich über den Erfolg seiner Mission, bellend vor ihr herlief. Das Blut klopfte ihr in den Ohren, die Wangen glühten. Sie atmete schnell und heftig. Das Herz schien ihr vor Glück zu zerspringen: Sie würde Jai wiedersehen!
Er saß auf einem großen Stein am Wasser und warf Akbars Gefährten Stöckchen zum Apportieren. An einem Hang in der Nähe graste ruhig der rabenschwarze Shaitan. Mehr sah Olivia nicht.
Als sie die Lichtung erreichte, trafen sich ihre Blicke. Er erhob sich, ging auf sie zu und griff nach Jasmines Zügel. Dann streckte er die Hand aus und half ihr beim Absitzen. An ihn gelehnt glitt Olivia langsam auf den Boden. Sie sah ihn groß an. Seine Augen verrieten nichts – und doch so viel! Er breitete die Arme aus, und sie überließ sich stumm seinem Schutz, auf den sie, wie sie wußte, ein unumstößliches Recht hatte.
Als er sie an sich drückte, zitterte er und flüsterte: »Verzeih mir …«
Sie legte ein Ohr an seine Brust und hörte zum ersten Mal sein Herz schlagen. Es klopfte so heftig wie das ihre und sagte mehr, als Worte es vermocht hätten. Sein heißer und unregelmäßiger Atem wärmte ihre Wangen. Sie küßte die Tasche seines weichen, zerknitterten Hemds, unter der sein Herz schlug, das ihn wieder zu ihr geführt hatte. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte, und Worte waren auch überflüssig.
»Ich habe dich verletzt«, murmelte er zerknirscht, »du hast meinetwegen geweint. Kannst du mir verzeihen?«
»Ja«, murmelte sie, ohne zu wissen, was er gefragt oder was sie geantwortet hatte, »ja …«
»Habe ich dich sehr unglücklich gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf und atmete den frischen Geruch seiner Haut ein. Die bleierne Trostlosigkeit der letzten Tage verschwand im strahlenden Glück. Er küßte leidenschaftlich ihren Nacken, die Ohrläppchen, die Schläfen, und sie erschauerte. »Nein …«
Er ließ sie abrupt los und ging wieder zu dem Stein, setzte sich. Er war wütend über sich. »Man sagt, ich neige zum Wahnsinn. Es stimmt. Ich bin wahnsinnig.«
Olivia setzte sich ihm gegenüber auf einen Baumstamm, zog die Knie hoch und umschlang sie mit den Armen. Sie wollte ihn nur sehen, ihn mit den Augen liebkosen – das war genug. »Ja, ich weiß.«
»Du weißt es, und du hast keine Angst?«
»Nein.«
»Aber das solltest du!« Er griff nach einem Stein und warf ihn zwischen die Bäume. Saloni sprang sofort aufgeregt bellend hinterher.
»In mir ist ein Gift, das niemanden in meiner Umgebung verschont.« Er wirkte zutiefst beunruhigt.
»Für jedes Gift gibt es ein Gegengift – wenn man will, kann man es unschädlich machen.« Olivia schloß die Augen, als wolle sie diesen kostbaren Augenblick für immer in sich bewahren.
»Nein.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich möchte es nicht unschädlich machen. Ohne dieses Gift wäre ich nur ein halber Mann, verstehst du?« Er lachte hart. »Ja, ich bin verrückt!«
Aus dem
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