Wer Liebe verspricht
verletzte sie, daß sie es nicht von ihm selbst erfuhr. Er hatte natürlich erwähnt, er denke daran, ein Stück Land in Hawaii zu erwerben. Beide Dinge standen offensichtlich in einem Zusammenhang. Aber was bewog ihren Vater zu einem so dramatischen Schritt? Und noch dazu in ihrer Abwesenheit? Sie wartete sehnsüchtig auf seinen nächsten Brief und hoffte, er werde ihr alles erklären. Aber sie war niedergeschlagen und fühlte sich wieder einmal von allem getrennt, was ihr wirklich lieb und teuer war.
In einem abgelegenen Blumenmarkt, der sich über ein Gewirr enger Straßen und Gassen erstreckte, tauchte Jai plötzlich neben ihr auf, als sie ihn am wenigsten erwartete. Sie bewunderte an einem Verkaufsstand die Ringelblumen und betrachtete versonnen die Vollkommenheit der Blüten und die satten, leuchtenden Farben, als sie plötzlich seine Stimme hörte.
»Gefallen dir diese Blumen?«
Olivia wäre vor Schreck beinahe ohnmächtig geworden. Sie griff sich an den Hals und fuhr herum. »Eigentlich solltest du Ire sein«, sie holte tief Luft und sah ihn an, »du hast viel von ihrem dämonischen Wesen!«
»Ich überrasche dich gern«, sagte er und schob ihr die Hand unter den Arm. »Du siehst dann wie eine erschrockene Gazelle aus, die sich beim Äsen plötzlich bedroht glaubt. Und ich möchte sehen«, er machte eine kurze Pause und blickte ihr in die Augen, »wie deine Augen wie Zucker in der Sonne schmelzen.«
Ihr wurde schwach vor Glück. »Für einen Menschen, der nichts von Überraschungen hält«, murmelte sie, »erlaubst du dir wirklich unverzeihliche Freiheiten.«
»Wirst du mir trotzdem verzeihen?«
»Ja«, lächelte sie, »ja natürlich …«
Der Blumenmarkt war ein Fest der Farben und Düfte, die für die Nase beinahe nicht zu verkraften waren. Olivias Benommenheit verstärkte sich, als sie an den Ständen mit Zinnien, Hahnenkamm, Heliotrop, Phlox, Rittersporn, dicken Rosensträußen und den allgegenwärtigen Ringelblumen vorbeischlenderten. Sie blieben vor einem Stand stehen, der sich deutlich von allen anderen unterschied. Olivia staunte. »Orchideen?«
»Ja, wilde Orchideen.«
Der Standbesitzer, ein kleiner komischer Mann mit einer faltigen braunen Haut, die an zerknittertes Packpapier erinnerte, lächelte sie mit seinem zahnlosen Mund an, und seine Augen leuchteten plötzlich. »Jai?« Er kniff die Augen prüfend zusammen, stand auf, ergriff Jais Hände und schüttelte sie heftig. »Tumi kepeke asa, mor lora?«
Jai lächelte und antwortete in einer Sprache, die Olivia nicht kannte, aber sie hörte, daß es nicht Hindustani war. Jai deutete auf eine Ranke mit wunderschönen wächsernen, lavendelfarbenen Blüten und dunkelgrünen, glänzenden Blättern. »Gefällt sie dir?« fragte er sie.
»O ja, sie ist schön. Was ist das?«
»Die blaue Vanda. Sie wächst wild in den Bergen.« Er sagte wieder etwas zu dem alten Mann, der fröhlich einen Bund der Ranken nahm und mit einem Stück Sackleinen umwickelte. »Du mußt feuchte Erde um die Wurzeln packen und sie mit dem Sackleinen an einen Ast im Garten binden. Dann wird sie dort wachsen und auch blühen.« Er nahm dem Mann den dicken Strauß ab, griff in die Tasche und holte eine Handvoll Münzen heraus. Aber der Alte winkte ab. Jai redete freundlich auf ihn ein und drückte ihm schließlich die Münzen in die Hand. Der Blumenverkäufer nahm sie mit einem nachsichtigen Kopfschütteln entgegen. Er warf einen verschmitzten Blick auf Olivia und machte eine Bemerkung, über die Jai lachte.
»Was hat er über mich gesagt?« fragte Olivia, als sie weitergingen. Sie konnte es noch immer nicht glauben, daß er an ihrer Seite ging und daß sie sogar zufällig einen Blick in sein Leben geworfen hatte, denn der Blumenverkäufer kannte ihn offenbar gut.
»Er hat gesagt, du hast kein Pferdegesicht wie die meisten anderen Engländerinnen, die er kennt.«
»Oh …« Sie kicherte. »In welcher Sprache hast du dich mit ihm unterhalten?«
»Assamesisch«, erwiderte er zögernd.
Olivia erschien es besser, keine weiteren Fragen zu stellen. Sie überließen sich einem ungezwungenen und angenehmen Schweigen und spazierten durch verwinkelte Gassen, in denen sich die Menschen drängten. Hin und wieder kamen Träger langsam und bedächtig mit einer geschlossenen Sänfte vorbei. Neben strohgedeckten Hütten standen ein oder zwei vornehme Häuser mit geschwungenen Fenstergittern und kunstvollen schmiedeeisernen Balkonen. Unter einem Strohdach saß ein strenger Brahmane
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