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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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mit dem zuckerweißen Dhoti um die Hüften. Er wiegte sich singend hin und her und intonierte Mantras für eine Gruppe junger Schüler, die mit gekreuzten Beinen auf Bambusmatten vor ihm saßen und sie im Chor wiederholten. Jai hielt die Hände auf dem Rücken und gab bereitwillig kurze, klare Antworten auf ihre neutralen Fragen. Wenn nötig, ergänzte er sie geduldig durch genaue Erklärungen.
    »Kalkutta mag vielleicht ein Dorf sein, aber es ist ein Dorf der Paläste«, sagte Olivia, als sie wieder an einem prächtigen herrschaftlichen Haus mit Kuppeln inmitten eines schönen Parks vorüberkamen.
    »Wohnen dort Engländer?« fragte sie plötzlich.
    »Engländer wohnen nicht neben Indern und umgekehrt. Diese Häuser gehören Zamindars oder indischen Kaufleuten, die im Zuge der britischen Erfolge auch zu Wohlstand gekommen sind.«
    Sie sah ihn von der Seite an. »Wie du?«
    »Vermutlich«, gab er erstaunt locker zu, »ich habe keine Gewissensbisse, an den Engländern zu verdienen – im Gegenteil. Das ist meiner Meinung die einzige Rechtfertigung für ihre Anwesenheit hier.«
    »Aber du hast ein Haus in der Nachbarschaft von Engländern.«
    »Einen Arbeitsplatz. Dort lebe ich nicht. Ich brauche es, um ausländische Geschäftspartner zu bewirten und unterzubringen. Ich finde mich aus rein praktischen Gründen mit europäischen Nachbarn ab.« Vielleicht lag es an ihren Vorwürfen bei der letzten Begegnung, daß Jai ihr alle Fragen bereitwillig, ja sogar freundlich beantwortete. Sie hatte sich geschworen, ihre Grenzen nie wieder zu überschreiten, aber seine Umgänglichkeit machte sie kühn, und sie stellte noch eine Frage.
    »Wo ist eigentlich dein … Zuhause? In Assam?« Sie hatte im Atlas einmal gesehen, daß Assam nordöstlich von Bengalen in der Nähe des Himalaya lag.
    Sie hatten den übervölkerten Blumenmarkt verlassen und erreichten ein großes rechteckiges Wasserreservoir am Ufer des Flusses. Dort wuschen Frauen ihre Wäsche, und Männer vollzogen ihre morgendlichen Waschungen. Jai blieb stehen, blickte scheinbar gleichgültig, aber ohne etwas zu sehen, auf diese Szene und gab einem kleinen Stein, der auf den Stufen um das Wasserbecken lag, einen Tritt.
    »Es heißt, das Zuhause ist dort, wo das Herz ist«, erwiderte er leichthin.
    »Und wo ist dein Herz?«
    Er lächelte. »In diesem Augenblick bei dir.«
    »Und in anderen Augenblicken?«
    »In anderen Augenblicken?« Er schien den Ausdruck in seinem Mund zu drehen und zu wenden, als versuche er ihn zu schmecken.
    »Es gibt keine anderen Augenblicke. Wie es scheint, hast du weit mehr in Besitz genommen, als die Vernunft mir rät, dir zu geben.«
    Der leise Vorwurf, der sich in seinen Augen widerspiegelte, änderte nichts an Olivias Euphorie. Sie legte noch einen Edelstein in ihre verborgene Kammer. Jai Raventhorne wurde allmählich der Mittelpunkt, um den sich jeder Moment drehte – im Wachen und im Schlafen. Das Bewußtsein, daß auch sie einen Platz in seinen Gedanken hatte, erschien Olivia als ein größeres Geschenk, als selbst der Himmel es ihr hätte machen können. Und wenn es ihm gewisse Schwierigkeiten bereitete, sich damit abzufinden – nun ja, warum sollte sie alleine leiden?
    Sie gingen zu den Pferden zurück, die sie in der Obhut eines Jungen gelassen hatten, der glücklich strahlte, als Jai ihm offenbar ein sehr großes Trinkgeld gab. Dann fragte er sie: »Möchtest du mich immer noch wiedersehen?« Er berührte sie nicht.
    Der ängstliche Unterton war Balsam für ihre Seele. »Warum fragst du mich das bei jeder Begegnung?« erwiderte sie und spürte körperlich das Glück, daß nichts diesen Morgen überschattet hatte. »Hältst du mich wirklich für so unbeständig?«
    »Wärst du doch unbeständig«, brummte er und schob die Hände in die Hosentaschen, als wolle er sich damit vor möglichen Unvorsichtigkeiten schützen. »Dann müßte ich nicht all diese schrecklichen Entscheidungen treffen, wie es jetzt der Fall ist! Das würde die Angelegenheit schlicht und einfach erledigen.«
    Sie wußte, er hielt sich bewußt zurück, denn sie spürte beinahe körperlich, wie sehr er sich zusammennahm. Aber auch das registrierte sie mit glücklicher Erregung. Es genügte ihr, daß er sie begehrte, daß Berührungen ihm Freude bereiteten, und daß er litt, wenn er sich diese Berührungen versagte. Und vor allem daß sie allein durch ihre Anwesenheit ein Verlangen in ihm weckte, das in ihrem Körper ein Echo fand. Sie lernte, selbst diese kleinen

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