Wer Liebe verspricht
denn er hat völlig vergessen, daß es mich noch gibt.« Sie schob trotzig die Unterlippe vor. »Stell dir vor, diese Clarissa Rose hat Polly und mir ihre Kostüme gezeigt. Sie hat die Ophelia in Windsor Castle gespielt – vor der Königin. Und sie geht ständig in die Vorstellungen in Covent Garden. Dort hat die Königin eine Loge, und alle müssen sich erheben, wenn sie erscheint. Man spielt die Nationalhymne, und alle Damen machen einen Hofknicks. Ist sie nicht zu beneiden?«
»Wer – die Königin?«
»Nein, Clarissa Rose natürlich, die Schauspielerin, die das ›Aschenputtel‹ ist. Stell dir doch nur vor, eine Aufführung in Covent Garden zu erleben!«
»Das tun bestimmt viele Leute.«
»Also, ich nicht! Ich muß mich Abend für Abend mit dieser langweiligen Strand Road begnügen!« Sie starrte eine Weile mißmutig vor sich hin. Aber schließlich siegte ihre gute Laune, und sie erzählte weiter: »Und sie hat uns etwas gezeigt, das man Dag … Dag …«, sie runzelte nachdenklich die Stirn, dann sagte sie achselzuckend, »na ja, es ist eine silberne Platte mit einem Bild von ihr. Es ist offenbar das neueste in England für Porträts.«
»Daguerreotypie?«
»Ja, ich glaube, so heißt es.« Estelle sprang begeistert auf. »Sie sagt, die Bilder werden mit einem Kasten gemacht. Man sitzt vor dem Kasten, und dabei muß einem die Sonne auf das Gesicht scheinen. Miss Rose hat gesagt, es ist eine französische Erfindung. Hast du schon davon gehört?«
»Ja. Ich habe noch keines dieser Bilder gesehen, aber Papa. In Amerika benutzt man jetzt Daguerreotypien, um in den Zeitungen Bilder zu drucken.« Sie ging zu Estelle. »Freddie und du, ihr habt dasselbe Problem – ihr braucht mehr Beschäftigung. Warum fragst du nicht Onkel Josh, ob du ihm im Kontor helfen kannst. Er würde sich bestimmt darüber freuen.«
Estelle sah sie entsetzt an. »Ich soll in Papas Kontor arbeiten?« Sie schauderte. »Mein Gott, ich würde mich zu Tode langweilen.«
»Du langweilst dich jetzt zu Tode«, sagte Olivia, »dort würdest du wenigstens etwas Nützliches tun und deinen Eltern eine Freude machen.«
»Ich werde reisen, Olivia. Ich werde etwas Richtiges machen und richtige Menschen kennenlernen.« Estelle sah sie herablassend an und fügte schnippisch hinzu: »Ich werde unabhängig sein.«
»Wenn du unabhängig sein willst, mußt du dir deinen Lebensunterhalt selbst verdienen.«
»Du meinst, Klavierstunden geben, Kleider nähen, reichen alten Leuten vorlesen und solche Dinge?« Sie rümpfte die Nase. »Ich würde sterben, einfach sterben, wenn ich das tun müßte.«
Olivia lachte. »Und womit willst du deine wundervolle Unabhängigkeit finanzieren? Willst du deinem Papa die Rechnungen schicken?« Sie hob verächtlich die Schultern. »Das ist für mich keine Unabhängigkeit.«
»Es gibt noch andere Möglichkeiten …« Estelles rundes Kindergesicht wirkte stolz.
»Du meinst – du wirst John heiraten und ihn die Rechnungen bezahlen lassen?« Olivia zwinkerte ihr zu. »Auch das halte ich nicht gerade für Unabhängigkeit.«
Estelle sah ihre Cousine mitleidig an. »Ich könnte mir einen reichen alten Mann angeln, und er würde mir das Leben bieten, das ich erwarte.« Sie strich sich selbstgefällig über die Haare und reckte das Kinn. Olivia stöhnte. »Sieh nur zu, daß er reich genug ist, um dir die vielen Pralinen zu kaufen, die du willst, sonst mußt du wieder den Koch bestechen, damit er sie für dich aus der Vorratskammer stiehlt!«
Bei der Erinnerung an ihren geheimen Pakt mit Babulal stieß Estelle einen wenig damenhaften Fluch aus, warf ein Kissen in Olivias Richtung und stürmte beleidigt aus dem Zimmer.
*
Jai überraschte Olivia erst wieder, nachdem eine ganze Woche bleierner Stunden und qualvoller Nächte vergangen war. Sir Joshuas Hitzefurunkel heilten ab, und er nahm seine hektische Tätigkeit im Kontor wieder auf. Estelle wurde immer rebellischer, denn sie wußte, ihr Vater hatte wenig Zeit, an die kleinen häuslichen Probleme zu denken, und sie mußte es nur mit ihrer Mutter aufnehmen – und das fiel ihr nicht schwer.
Olivia erhielt ihren ersten Brief von Greg. Er schrieb liebevoll und herzlich, aber erfreulich unsentimental. Eine Nachricht beunruhigte sie jedoch. Es bestand die Möglichkeit, so schrieb er, daß ihr Vater ihm die Ranch verkaufte. Greg wollte schon immer ein selbständiger Rancher werden, das wußte Olivia, aber es überraschte sie, daß ihr Vater daran dachte zu verkaufen. Und es
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